Fettpolster statt Ölquelle

■ "Golden Girls"-Fans aufgepaßt: Die ARD startet heute die Sitcom-Offensive

Es gibt nur einen Grund für das seit einigen Jahren anhaltende Sitcom-Revival in den USA: die Budgets waren fast in die Höhe von Kinoproduktionen geklettert. Das Risiko eines Flops wurde untragbar. Die Schnellebigkeit des US- Fernsehgeschäfts wirkte sich auch auf die Sendezeit aus. Ein-Stunden-Shows wie „Dallas“ (die amerikanische TV-Stunde besteht aus 45 Minuten Programm plus 15 Minuten Werbung) gerieten zu lang. Mit seiner wirr gesponnenen Bandwurm-Handlung wurde das bis Ende der Achtziger den Fernseh-Unterhaltungssektor dominierende Genre der Seifenoper unverbindlich und beliebig.

Aus den Traumwelten der Superreichen aus „Dallas“ und „Denver“ führt die Situationskomödie – kurz Sitcom genannt – zurück auf den Boden alltäglicher Mißgeschicke. Die „Golden Girls“ sind hierzulande längst eine Institution. Seit Januar erhalten wir dank „Hallo Schwester!“ Einblick in den Sprüchevorrat überarbeiteter Krankenschwestern.

Zwei weitere US-Sitcoms starten heute abend im Doppelpack, eine dritte im April. Mit dem Slogan: „Wenn Sie ,Golden Girls‘ mögen, werden Sie ,Harry's Nest‘ lieben!“ erstürmte die Disney-Produktion die Gunst des US-amerikanischen Publikums und ist seit ihrem Start 1988 ebenso beliebt wie „Golden Girls“.

In „Harry's Nest“ (ARD, 21.45 Uhr) ist Dr. Harry Weston (Richard Mulligan), ein gut situierter Kinderarzt, Anfang fünfzig, schlank, verwitwet, grau meliert, der in der Nachbarschaft der Golden Girls wohnt. Blanche hat ein Auge auf ihn geworfen, und Rose hatte schon einen Verkehrsunfall mit ihm. Harry lebt mit seinen beiden erwachsenen Töchtern Barbara (Kristy McNichol) und Carol (Dinah Manoff) sowie mit Dreyfuss (Hund) zusammen. Die eine Tochter kann nicht mit Geld, die andere nicht mit Männern umgehen. Carol, die ältere, hat drei Feinde. Überflüssige Pfunde, unzuverlässige Liebhaber und ihre jüngere Schwester Barbara: „Als Kinder hatten wir zwei vollkommen gleich aussehende Küken. Bis Du eines Tages heulend reinkamst und sagtest, Deins ist tot!“

Nicht minder familiär geht es in „Der Dünnbrettbohrer“ (ARD, 22.07 Uhr) zu, eine Show, die von den menschlichen Abgründen der Heimwerkerleidenschaft handelt. Der Titel der – nach „Hallo Schwester!“, „Harry's Nest“ und „Dünnbrettbohrer“ – vierten neuen Sitcom „Vier x Herman“ (ab 29.4.) rührt daher, daß Herman (William Regsdale) nicht nur einen kleinen Mann im Ohr hat, sondern drei, und eine Frau dazu...

Das Genre der Sitcom ist nicht neu, sondern eine der fernsehspezifischen Ausdrucksformen überhaupt. Mit „Ein Herz und eine Seele“ gibt es sogar eine gelungene deutsche Variante. Die neuen Halbstunden-Shows der ARD gehören zu einem Paket der Walt- Disney-Tochter „Touchstone“, mit der das Erste seinen Exklusivvertrag bis 1996 verlängern konnte: trotz höheren Angebots der Privaten. Denn die auf Image bedachten Disney-Productions sehen ihre Produkte nicht gern in Trommelfeuer- und Tirolersex- Sendern wie Sat.1 und RTL.

Mit Ausnahme von „Der Dünnbrettbohrer“ stammen diese Sitcoms aus der Feder des „Golden Girls“-Erfindertrios Paul Witt, Tony Thomas und Susan Harris. Im harten und schnellebigen US- TV-Geschäft gilt deren Dauererfolg als Ausnahmeerscheinung. Scharfzüngiger Humor und geschickte Setzung des dramatischen Konfliktstoffs sind das Markenzeichen dieses Kreativteams. Statt um Ölquellen geht es hier um Fettpölsterchen, statt blasiertem Geldadel agiert das normalneurotische Fußvolk. Hauptattraktion sind dementsprechend nicht mehr teure Kleider und Dekors, sondern Worte. Es hagelt geschliffen garstige Seitenhiebe. Eine populäre Version des Woody-Allen-Humors nach dem Motto: Vom Stadtneurotiker zum Totalneurotiker. Manfred Riepe