Erstmal wieder laufen lernen

■ Trotz wenig vorhandener Klasse bieten die Hallen-Weltmeisterschaften der Leichtathleten bisweilen gute Unterhaltung / Neuer Dopingfall mal ganz ohne Ben

Berlin (taz/dpa) – Als Stefka Kostadinowa im dritten Versuch über die 2,02 Meter flog, schien alles gelaufen. Das Publikum wollte so recht immer noch nicht aufwachen, aber als Heike Henkel anlief und auch bei ihr die Latte liegenblieb, legte sich zumindest zeitweise die Apathie der 40.000 Zuschauer, die sich im riesigen Sky- Dome von Toronto verloren, der sonst bei den Baseball-Spielen des amtierenden World-Series-Siegers Blue Jays aus den Nähten platzt. Nach den 2,02 war der Hochsprung der Frauen bei der Hallen-Weltmeisterschaft wieder mal zum Privat-Duell der beiden überragenden Springerinnen der letzten Jahre geworden. Und das in einem Wettkampf, der als einziger dieser WM zu Recht seine Bezeichnung verdiente. Die versammelte Weltklasse nahm immerhin einträchtig die 1,97, aber die zwei Meter, wo auch sonst die Grenze zwischen den Guten und den sehr Guten liegt, überquerten nur noch die Bulgarin Inga Babakowa aus der Ukraine und Henkel. Die leistete sich ihren ersten Fehlversuch, der über Gold oder Silber entscheiden sollte. Zwei Zentimeter mehr waren dann auch für Babakowa zwei Zentimeter zuviel, Kostadinowa und Henkel floppten einträchtig im dritten Versuch, die Spannung stieg.

Das tragisch Schöne am Hochsprung ist, daß am Ende immer das Scheitern steht, denn irgendwann ist die letzte Höhe auch für die Siegerin zu hoch. Als Kostadinowa ihren dritten und letzten Versuch über die 2,04 gerissen hatte, mußte sie zusehen, ob Heike Henkel ihre letzte Chance würde nutzen können. Sie konnte nicht und verlor das erste Mal seit 1990 einen großen Wettkampf. Schlußendlich war ihr der eine Fehlversuch bei 2,00 zum Verhängnis geworden. Trotzdem war sie „sehr zufrieden nach den vielen Problemen in dieser Hallen-Saison“, in der die Achillessehnen und die Ferse allzuoft gezwickt hatten. „Mit 2,02 darf man verlieren“, konstatierte sie ganz richtig und nahm sich vor, nachdem sich offensichtliche Problemen im Anlauf gezeigt hatten, im anstehenden Trainingslager auf Lanzarote erstmal wieder „richtig laufen zu lernen“.

Wo die Zuschauer schon kaum aus sich herausgingen, sorgte wenigstens der Dreisprung-Sieger Pierre Camara aus Frankreich für ein wenig Geräuschkulisse. Mit einem martialischen Schrei brach er zu seinem letzten Versuch auf, der nach 17,59 im Sand enden sollte. Dies war Jahres-Weltbestleistung und die Goldmedaille vor dem Letten Maris Bruziks mit 17,36 und Nikolay Rajew aus Bulgarien mit 17,27 in einem Wettkampf, der in der Breite die bisher besten Leistungen in Toronto bot. Sechs Springer übertrafen die magischen 17 Meter. Für Tragik und unfreiwillige Komik sorgte Brian Wellman von den Bermudas. Zuerst trat er die wild mitfedernde Holzkonstruktion durch, die daraufhin ausufernd repariert werden mußte, und dann landete er trotz der gleichen Weite wie der Dritte nur auf Platz vier, weil er den schlechteren zweiten Versuch hatte.

Gleiches widerfuhr Susen Tiedtke im Weitsprung. Sie sprang mit 6,84 Meter zwar genauso weit wie die Siegerin Marieta Ilcu aus Rumänien, hatte aber die schlechtere Zweitweite. Trotz der knappen Niederlage und des schwachen Feldes freute sich die Berlinerin über den „größten Erfolg“ ihrer Karriere. Daß sie mit solch einer Weite, die vor mehr als 20 Jahren mal einen Weltrekord für Heide Rosendahl bedeutete, im Freien nicht viel wird ausrichten können, hat sie wohl selbst erkannt. Demnächst geht es in die USA zum Intensiv-Training beim Coach von Weltrekordler Mike Powell. Dort trifft sie sicher auch ihren Freund Joseph Greene. Der Ami wollte seiner Liebsten nicht nachstehen und wurde ebenfalls Zweiter im Weitsprung der Männer.

Nicht nur weil Ben Johnson nur wenige Kilometer vom Sky-Dome entfernt wohnt und dort weiter nicht die Nase aus seinem von Journalisten belagerten Häuschen steckt, war Doping auch ein Thema in Toronto. Ludmilla Naroschilenko soll nach ihrem Hallenweltrekord über 60 Meter Hürden am 13. Februar im französischen Lievin positiv getestet worden sein. Nach Lievin hatte die 28jährige den Rekord gleich noch dreimal verbessert. Offiziell bestätigt ist das Ergebnis zwar noch nicht, die B-Probe soll abgewartet werden, aber der Generalsekretär des Internationalen Leichtathletik-Verbandes, Istvan Guylas, nannte es verschmitzt „clever“, wenn man einen positiven Befund bei der Russin vermute. to