■ Von Wirtschaftskriminalität und kleineren Delikten
: Das macht mich betroffen

Ich bin Schweizer und lebe seit bald fünfzehn Jahren in Deutschland. In meiner gutbezahlten Stellung nehme ich wenigstens drei Deutschen einen Arbeitsplatz weg. Allein bewohne ich eine hundert Quadratmeter große, erschwingliche Wohnung in Frankfurt, die einer Familie mit zwei Kindern genügend Platz böte. Das Volk, dem ich angehöre, lebt seit über hundert Jahren als Parasit in der internationalen Völkergemeinschaft. Während andere Glaubenskriege ausfochten, sich leidenschaftlich für die gute oder schlechte Sache engagierten, hielten sich die Schweizer still und geschickt aus allen Auseinandersetzungen heraus und konzentrierten sich aufs Geschäftemachen. Ungerührt belieferten sie Nazis und Alliierte, Kommunisten und Kapitalisten mit Waffen, Industriegütern und anderem Nützlichem.

Ihre Banken wurden zu Fluchtburgen für riesige von Diktatoren jeder Couleur ihren ausgebeuteten Völkern geraubte Vermögen und Waschanstalten für die Mafias vieler Länder. „Was wir schieben und erraffen, was erpressen wir und schaffen, morden, prellen und betrügen, wuchern, stehlen, hehlen, lügen“ singen Eigner und Angestellte der Privatbank im Chor in der Komödie „Frank der Fünfte“ meines Landsmanns Friedrich Dürrenmatt, den auch gutbürgerliche Schweizer nicht gerade des Radikalismus verdächtigen. Verglichen mit der legalen staatlich geförderten Wirtschaftskriminalität Schweizer Banken über Jahre und Jahrzehnte, ist das, was gemeinhin etwa den Sinti oder Roma nachgesagt wird, harmloser Mundraub.

Dennoch verlangt niemand in Deutschland, verlangen nicht einmal die Reps oder die NePs und wie sie alle heißen mögen, meine sofortige Ausweisung oder Rückschaffung in die Heimat. Das macht mich betroffen. Christoph Vitali

Aus: „Denk ich an Deutschland“, Stimmen der Befremdung.

(Hg: W.Balk und S.Kleinschmidt), S. Fischer Verlag, März 93.