■ Regierung und SPD sind sich über den Solidarpakt einig: Indirekte Korrektur
Politiker sind wirklich ein Ärgernis. Schulterklopfen und Eigenlob, nur weil sie sich mit gut zweijähriger Verspätung endlich hingesetzt und mit dem innenpolitischen Problem Nummer eins ernsthaft beschäftigt haben. Es geht also doch! Unter dem Druck der hessischen Kommunalwahl haben die obersten Etagen der bundesdeutschen Politik eine gemeinsame Grundlage gefunden, haben sich Bundesregierung und SPD, Ost- und Westpolitiker zum Handeln aufgerafft.
Noch einmal beleuchtet die zweieinhalbtägige Klausur, daß das brisante Problem der deutschen Desintegration mit geradezu sträflicher Luxushaltung behandelt worden ist. Seit dem 3. Oktober 1990 sind zweieinhalb Jahre vergangen, und jetzt erst kommen die Verantwortlichen aus Bund und Ländern an einen Tisch. Hätte Hessen nicht so gewählt, dann würde Helmut Kohl wohl immer noch denken, er könne den Solidarpakt zur Not mit der Regierungsmehrheit durchziehen. Hätten die sechzehn Bundesländer sich nicht formiert, dann ginge Theo Waigel wieder davon aus, er könne die Ost- gegen die Westländer ausspielen. Und wer wüßte schon, wie in der SPD ohne den heilsamen Zwang miserabler Wahlergebnisse über den Verhandlungsmarathon gedacht würde.
Der leichfertige Umgang mit der deutschen Einheit ist mittlerweile eine ganz eigene Erblast. Sie steckt unverkennbar auch in den Ergebnissen der Klausur. Immer noch werden die Augen zugemacht, statt zum Entschluß zu kommen: Die Finanzierung der nächsten beiden Jahre ist ein weißer Fleck der Vereinbarungen. Die SPD hat bei den Sozialkürzungen viel erreicht, schweigt aber nun offenbar ganz zur sozialen Schieflage der bisherigen Einheitsfinanzierung. Daß am Wochenende in wichtigen Punkten nicht das letzte Wort gesprochen wurde, schmälert aber den Fortschritt nicht. Die neuen Länder müssen nicht mehr als Dauerbettler antreten, sie kennen die – knapp bemessene – Ausstattung für die nächsten Jahre. Bund und Länder, Regierung und Opposition gehen erkennbar von einer langfristigen Aufbauzeit aus. Die falschen Hoffnungen auf das schnelle Wirtschaftswunder sind also indirekt korrigiert. Vor allen Dingen haben sich alle Beteiligten für zweieinhalb Tage von der alten Unsitte gelöst, die deutsche Einheit mit den gewohnten Methoden der Parteienkonkurrenz zu bearbeiten. Allerdings: Hier lauert die Versuchung sicher schon an der nächsten Ecke. Was passiert, wenn die erwarteten neun Milliarden über die Eindämmung des Mißbrauchs bei Steuervorteilen und Sozialleistungen nicht eingespart werden können? Tissy Bruns
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