In El Salvador schlägt die Stunde der Wahrheit

■ Bericht über Menschenrechtsverstöße im Bürgerkrieg wird heute vorgelegt

Managua (taz) – „Ich war überzeugt, für das Vaterland das richtige zu tun.“ General Ponce, der am Freitag überraschend als Verteidigungsminister zurücktrat, bemühte sich nicht länger, seine Verantwortung zu leugnen. Im Bericht der sogenannten Wahrheitskommission, der heute der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wird Ponce beschuldigt, die Ermordung des Rektors der Jesuitenuniversität und fünf weiterer Patres durch ein Kommando der Armee probiert zu haben. Nur ein Oberst, der sich als allein Verantwortlicher präsentierte, und ein Leutnant waren bisher für die Bluttat verurteilt worden.

Damit ist klar, warum die Militärs und Präsident Cristiani um jeden Preis verhindern wollten, daß der Bericht vor den Wahlen im nächsten Jahr veröffentlicht wird. General Ponce und weitere 13 hohe Offiziere sind die einzigen, die der von einer anderen Kommission vorgeschlagenen Säuberung der Streitkräfte bisher entgangen waren. Cristiani wollte sie bis zum Ende seiner Amtszeit im Mai 1994 auf ihren Posten belassen. Die Wahrheitskommission, die die aufsehenerregendsten Verbrechen der Bürgerkriegsdekade untersucht, ist ein Produkt der Friedensverhandlungen zwischen der salvadorianischen Regierung und der ehemaligen Guerillafront FMLN, die zu Beginn des Vorjahres in einen Waffenstillstand gemündet hatten. Sie besteht aus dem ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Belisario Betancur, dem früheren venezolanischen Aussenminister Reynaldo Figueiredo und dem US-amerikanischen Menschenrechtsanwalt Thomas Buergenthal. Drei Monate hatten sie Zeit, mittels Tausender von Zeugenaussagen und dem Studium bisher vertraulicher Dokumente eine Reihe von Verbrechen zu untersuchen, deren Hintergründe nicht eindeutig aufgeklärt sind. Die Liste reicht vom Mord an Erzbischof Romero, der allgemein dem inzwischen an Krebs gestorbenen rechtsextremen Roberto d' Aubuisson angelastet wird, über das Massaker der Armee an tausend Campesinos im Dorf Mozote, das Massaker an Flüchtlingen am Rio Sumpul bis zum Mord an sechs Jesuitenpatres während der Großoffensive 1989.

Zwar wurden auch Menschenrechtsverletzungen der Guerilleros untersucht, darunter die Exekution von Bürgermeistern und Attentate auf Personal der US-Militärmission, doch erwartet man in diesen Fällen wenig neue Einzelheiten. Lediglich im Fall des Mordes am Chef der Menschenrechtskommission Herbert Anaya im Jahre 1987, den die FMLN der repressiven Haciendapolizei angelastet hatte, scheint es Hinweise zu geben, daß eine interne Abrechnung der Guerilla dahinterstecken könnte. Die Ergebnisse der Untersuchungen können, müssen aber nicht, gerichtliche Konsequenzen haben.

Der Veröffentlichung des Dokuments, das heute an Präsident Cristiani, die FMLN und UNO- Generalsekretär Butros Ghali übergeben wird, war ein wochenlanges Tauziehen vorausgegangen. Cristiani und die hohen Militärs hatten die Geheimhaltung der darin genannten Namen gefordert. Denn der Staatschef sah gar „die Stabilität des Landes gefährdet“. Außerdem fürchtete er Auswirkungen auf die Wahlen in einem Jahr, wenn die als politische Partei legalisierte FMLN erstmals das Machtmonopol der traditionellen Parteien angreift. Angesichts von Putschdrohungen und der Gefährdung des noch reichlich prekären Friedens hatten auch mehrere Comandantes der FMLN bereits Kompromißbereitschaft signalisiert. Doch die Jesuiten an der Katholischen Universität waren nicht zum Nachgeben bereit. „Wahrheit ist nicht verhandelbar. Auch wenn es schmerzlich ist, nur durch die Wahrheit werden Körper und Seele des Volkes heilen“, hieß es in einer Stellungnahme. Ralf Leonhard