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Ein neuer Präsident für die Volksrepublik China

■ Heute beginnt die jährliche Sitzung des Volkskongresses/ Der 66jährige Jiang Zemin als neuer Staatschef vorgesehen

Peking (taz) – Wenn heute in Peking die 2.978 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses in Peking zu ihrer jährlichen Sitzung zusammentreten, steht ein Ergebnis schon fest: Jiang Zemin, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, kann der ohnehin eindrucksvollen Liste seiner Titel auch noch den des Staatspräsidenten hinzufügen und den bisherigen 86jährigen Yang Shankun ablösen.

Dies ist nur eine von einer ganzen Reihe personeller Veränderungen, die von der siebzehntägigen Sitzung erwartet werden. Im Vorfeld zeichnete sich zudem ab, daß Li Peng, dessen Position nach seiner Beteiligung an den Massakern von 1989 angeschlagen zu sein schien, nun doch seinen Posten behaupten kann. In diplomatischen Kreisen hieß es, den Vorsitz des Volkskongresses oder Parlaments werde der ehemalige Sicherheitschef Qiao Shi übernehmen.

Ein eher repräsentativer Posten

In dieser Parlamentsperiode soll auch der ökonomische Fünfjahresplan berichtigt werden, um die bislang vorgesehene Wachstumsrate von jährlich sechs auf acht oder neun Prozent zu erhöhen (siehe auch Bericht auf Seite 6); außerdem soll die Parteientscheidung vom Ende letzten Jahres über die Fortsetzung der Reformen ratifiziert werden. Während der Parlamentsperioden gibt es gewöhnlich wenig Diskussionen, da sämtliche wichtigen Entscheidungen schon vorher vom Zentralkomitee der Partei getroffen worden sind. Interessant für die Beobachter ist daher vor allem die Position des 66jährigen Jiang Zemin und die Rolle, die er während des Kongresses spielen wird.

In China ist die Präsidentschaft ein weitgehend repräsentativer Posten, aber dennoch nicht zu verachten. Was, so fragen ausländische und chinesische Beobachter, hat dieser ziemlich plumpe und immer fröhliche Mann getan, um eine derartige Ämterhäufung zu verdienen?

Trotz der beträchtlichen Macht, über die Jiang Zemin – zumindest in der Theorie – verfügt, wird er in der Regel nicht mit dem Vorsitzenden Mao oder mit Deng Xiao Ping verglichen, sondern mit Hua Guo Feng. So wie Hua den Mantel der Macht aus den Händen Maos empfing, so empfing ihn Jiang von Deng.

Hua, der ein Anhänger Maos war, aber selbst nur über geringe Führungsqualitäten verfügte, überlebte seinen Mentor als Führer nur zwei Jahre. Nach verbreiteten Spekulationen wird auch Jiangs Macht Deng nicht lange überleben.

Als Mortimer Zuckerman, der Verleger des US-News and World Report, kürzlich Jiang Zemin interviewte, las der kommunistische Parteichef all seine Antworten von einem Spickzettel ab und erweckte den Eindruck, jemand halte ihn an einem ziemlich kurzen Zügel. Das erinnerte nicht mehr an die Zeiten, als Jiangs unglückliche Vorgänger Zaho Ziyang oder Hu Yaobang sich mit der Presse kleine Wortgefechte liefern durften. Viele ChinesInnen, die an komplizierte politische Manöver gewöhnt sind, vertreten die Ansicht, die Ausweitung von Jiangs Macht bedeute in Wirklichkeit das genaue Gegenteil.

Jiang war, als er nach dem Sturz von Xiao Ziyang 1989 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei ernannt wurde, noch nicht einmal Mitglied des allmächtigen ständigen Ausschusses des Politbüros. Beobachter innerhalb und außerhalb Chinas stimmten darin überein, daß seine Wahl einen Kompromiß darstellte. Als Bürgermeister von Shanghai waren seine Hände nicht mit dem Blut des Massakers vom 4. Juni befleckt, aber im April hatte er seine Hardliner-Qualitäten bewiesen, indem er Qin Benli entließ, den Herausgeber des World Economic Herald. Jiang ist ein Politiker, dessen kommunistische Verdienste 1989 den Bedürfnissen der Partei entsprachen, der jedoch angesichts des ökonomischen Liberalismus von 1993 vielleicht schon anachronistisch wirkt.

Als er bei einer Party zum Frühlingsfest Anfang dieses Jahres enthusiastisch ideologisch korrekte Lieder anstimmte, wirkten die anderen Mitglieder des ständigen Ausschusses des Politbüros offensichtlich unangenehm berührt. Er war vielleicht der richtige Mann, um der Partei über die Wunden von 1989 hinwegzuhelfen, aber die meisten Leute zweifeln daran, ob er über die Autorität oder die Machtbasis verfügt, um Chinas starker Mann zu werden.

Ein überforderter Politiker

Seine eigene Unsicherheit wurde deutlich, als er 1989 zum Vorsitzenden der Militärischen Kommission des Zentralkomitees der Partei ernannt wurde. „Als ich bei der letzten Plenarsitzung zum Generalsekretär des Zentralkomitees gewählt wurde, sagte ich, ich sei noch nicht völlig bereit“, meinte Jiang damals in erstaunlicher Offenheit. „Auch jetzt bin ich nicht völlig bereit. Ich habe keine Erfahrung mit militärischer Arbeit, und ich bin der Meinung, daß meine Fähigkeiten nicht dem entsprechen, was diese Position verlangt. Aber da mir die Partei diese Arbeit zugewiesen hat, muß ich alle Anstrengungen unternehmen, um mich über militärische Angelegenheiten zu informieren.“

Es gibt keinen Zweifel, daß Jiang viel Mühe darauf verwendet hat, sich eine eigene Basis zu schaffen, besonders in der Armee, die letzten Endes über die Macht entscheidet. Die Tatsache, daß Jiang vielleicht daran mitwirkte, den unpopulären Jang Beibing loszuwerden, mag ihm bei den Streitkräften einen Bonus verschaffen. Aber würde die Armee für Jiang zu den Waffen greifen, wie sie es für Deng tat? Dengs Tod wird vielleicht die Probe aufs Exempel sein. Catherine Sampson

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