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■ „Das Kino des Jean Genet“ im Eiszeit-Kino

Die Korrespondenz des Begehrens ist nicht Thema bei Genet, sondern das erotische und ästhetische Verfahren, das der 1986 an Krebs gestorbene Skandalautor am konsequentesten durchgehalten hat – gegen alle turbulenten Wechsel der Genres. Auch in dem einzigen Film, den Genet jemals gemacht hat, ist das zu spüren, „Un chant d'amour“: Zwei Gefangene, kräftige Kerle in Schweißhemden, in nebeneinanderliegenden Einzelzellen untergebracht, haben ein dünnes Loch durch die Zwischenwand gebohrt. Aus seiner Strohmatratze löst einer der beiden einen Halm, schiebt ihn durch das Loch und bläst den Rauch seiner Zigarette hindurch; der Nebengefangene öffnet seinen Mund, um den Atem des anderen in Empfang zu nehmen. Beobachtet werden die Sehnsüchtigen von einem Gefängniswächter, mit dessen Auge wir – Zuschauer – in die Zellen eindringen. Der Blick (des Wächters) ist voyeuristisch, weil er sich am erotischen Geschehen beteiligt, ja sich davon berauschen läßt. Und weil die Gefangenen das wissen (oder ahnen) und sich davon ihrerseits berauschen lassen, steht jedes Begehren, das Genet vorführt, in Beziehung zum Begehren des anderen. Mit diesem „Liebesgesang“ von 1950, von dem Genet sich später distanziert haben soll, wurde im Eiszeit-Kino die Reihe „Das Kino des Jean Genet“ eröffnet.

Gezeigt werden, neben verschiedenen älteren und neueren Kurzfilmen, die sich auf Genets Werk beziehen, Verfilmungen der Stücke „Die Zofen“ und „Der Balkon“, Tony Richardsons „Mademoiselle“ mit Jeanne Moreau, „Pink Narcissus“ von Jim Bidgood, Todd Haynes „Poison“, Niko Papatakis neuester Film „Die Equilibristen“ und, natürlich, Rainer Werner Fassbinders „Querelle“. Die biographischen Filme sind im Eiszeit-Kino nicht zu sehen.

Abgesehen davon, daß der Titel der Reihe irreführend ist, kann man sich angesichts der getroffenen Auswahl durchaus über den filmischen Umgang verschiedener Regisseure mit Genet klarwerden.

Fassbinder kommt Genets Verfahren der „Korrespondenz“ eindeutig am nächsten. Seine Verfilmung des Genet-Romans aus den vierziger Jahren: kongenial. „Querelle“ (1982) ist nicht nur weit komplexer als „Un chant d'amour“, sondern auch artifizieller und sauberer, reicher eben. Fassbinders Kerle haben keine ölig-verdreckten Fingernägel mehr (wie es noch Genets virilem Ideal entsprach), sondern sonnen sich manierlich in Matrosenkäppi oder Lederklamotten in orangenem Studiolicht vor einer Kulisse aus Pappmaché und sehen insgesamt „schwuler“, szenemäßiger aus als Genets Darsteller. Kein Latrinengeruch mehr. Und trotzdem: In ruppig-geschmeidigen Bewegungen läßt Fassbinder seine Darsteller so präzise und noch im Verrat so vollkommen aufeinander bezogen agieren, daß man sagen muß: purer Genet. Über allem ein Hauch Selbstverliebtheit und Verzweiflung der Einsamen. Und Sex?

Unvergeßlich Madame Lysiane, gespielt von einer in äußerster Eleganz gealterten Jeanne Moreau, die schier daran zugrunde geht, daß der von ihr geliebte Robert seinem Bruder, dem Matrosen und Mörder Querelle, zum Verwechseln ähnelt. Sie beginnt ein Verhältnis mit dem letzten, allein in der Hoffnung, feststellen zu können, daß er einen anderen Schwanz habe als Robert – was zutrifft, aber ihr Problem nicht löst. Fassbinder zeigt nicht, sondern läßt Querelles Schwanz von Madame Lysiane in einem langsamen, kontrollierten liturgischen Kommentar besprechen. Die Codes der Erregung sind durchaus shocking, aber Fassbinder tut nichts weiter, als sie Genet konsequent abzuhören.

Genau das kann man von Niko Papatakis und seinem jüngsten Film „Les Equilibristes“ nicht sagen. Der Grieche – der 1950 „Un chant d'amour“ produziert, 1962 „Les Abysses“ (ebenfalls im Eiszeit-Kino zu sehen) gedreht hat, eine witzige, an existentieller Ästhetik orientierte Verfilmung des berühmten Verbrechens der Schwestern Papin – zeigt mit seinem jüngsten Film, daß Genet ihn im Grunde nicht mehr interessiert. Vielleicht rächt Papatakis sich mit „Les Equilibristes“ auch an dem Schriftsteller, der es zu mehr Ruhm als er gebracht hat. Papatakis ist ein resignierter, gekränkter alter Herr, wie ich im Dezember auf einer Veranstaltung in Lille gedacht habe, er liest die Rezensionen seiner Filme aus Trotz nicht (sagt er), und diese Ignoranz merkt man den „Equilibristen“ leider auch an. Unbegreiflicherweise hat Michel Piccoli sich dazu bereit erklärt, in diesem langweiligen (und langen), fetischistischen Film die Rolle des gealterten Jean Genet zu übernehmen, der sich in einen niedriggestellten Zirkusarbeiter verknallt, mit Hilfe einer Freundin Kontakt zu ihm aufnimmt, ihn für sich gewinnt, rauskriegt, daß der hübsche garcon Seiltänzer werden möchte, ihm diesen Traum erfüllt, ihn abhängig von sich macht, ihn mit seinen Anforderungen terrorisiert und schließlich in den Selbstmord treibt. Die Story basiert auf biographischen Details – Genet hatte tatsächlich einen Freund, der Seiltänzer war und sich umgebracht hat – und zeigt einen jähzornigen, geistlosen, uncharmanten Genet.

Das wäre im Prinzip auch in Ordnung, wenn Papatakis uns die Chance gäbe, die sexuelle Attraktion wenigstens ansatzweise zu ahnen, die der alte Mann in biederem Wildlederbluson auf Franz-Ali, so der Name des Jünglings, ausübt. Aber Papatakis bekennt, er sei gegen „Fleisch auf der Leinwand“ – eine interessante Idiosynchrasie, die er in der Weise umsetzt, daß Franz-Ali zwar mit einer blonden Dame auf dem Bette liegt und Küsse austauscht, niemals aber mit dem, der ihn sexuell angeblich beherrscht: dem Schriftsteller Genet. Was wir nicht sehen (die Homosexualität), sollen wir glauben. „Les Equilibristes“ bleibt selbst dann noch aseptisch, wenn schnittige Rennwagen in Flammen aufgehen oder ein kolossaler, steinerner Phallus enthüllt wird. Auch Fassbinder benutzt Riesenschwänze; sie sind aus Pappe, sind Kulisse, immer sichtbar, ironisch und sexy. Papatakis mag Fassbinder nicht. Natürlich. Ina Hartwig

Die Reihe läuft noch bis zum 24. März im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg 36, Telefon: 6116016

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