Stahlinismus Von Mathias Bröckers

Ich bin sauer. Da gibt man nun seit 1986 per Kolumne seinen Senf zum Weltgeschehen, müht sich Woche für Woche um einen Kick in die richtige Richtung, um das rasende Chaos ein bißchen zu ordnen, bleierne Ordnungen durchzurütteln... und was ändert sich? Nichts! Rein gar nichts! Wenn also im folgenden aus der Kolumne „Stahlinismus“ vom 12.Februar 1988 zitiert wird, hat das damit zu tun, daß im Ruhrgebiet noch exakt dieselbe Einfalt regiert wie vor fünf Jahren:

„Ein phosphorgrünes Plakat Rheinhausen muß leben! Erhalt aller Stahlstandorte! IG Metall – über dem Schriftzug eine Industrielandschaft, Türme, Kräne, Kessel, Schlöte, und dieses Idyll bringt mal wieder den Impuls: das Reaktionäre, ewig Gestrige, geistig und moralisch voll im 19. Jahrhundert Verhaftete kulminiert heutzutage in den Gewerkschaften. (...) Kein DGB-Mensch fragt, was wir mit dem Stahlscheiß, Chemiedreck, Plastikmüll, all den Segnungen des Industriestandorts Bundesrepublik eigentlich sollen und wollen, statt dessen schunkelt sich noch der letzte Bänkelsänger Für den Erhalt aller Stahlstandorte ein. Das ist der helle Wahnsinn. Laßt die Kruppianer die Blätter und Blüten im Essener Stadtpark abstauben, laßt sie die Stilblüten bei Landtagsdebatten zählen oder die Ruhr per Hand auf Trinkwasserqualität filtern – es gibt 100.000 sinnvollere Tätigkeiten auf diesem Planeten als die Herstellung von gottverdammtem Kruppstahl. Findet sich in der ganzen Verteilungskampfarmee DGB denn keiner, der hinter seinem Funktionärsarschgesicht in 35 Wochenstunden auch nur einen Gedanken entwickelt, der hinausgeht über das 150 Jahre alte Gezerre und Gezeter um die Herstellung von Edelstahlzahnstochern mit Sollbruchstelle zwecks Arbeitsplatzsicherung? Dräut nicht, nach Nukem und Tschernobasel, auch in Mordrhein-Pestfalen langsam ein Bewußtsein davon, daß jede Werkschließung einen Segen für dieses gebeutelte Stück Erde bedeutet? (...) Aber nein, statt endlich zu beginnen, mit ihm abzurechnen, predigt alles, was sich links, sozial und menschenfreundlich nennt, den deutschen Stahlinismus. Und die grünen Arbeiter in den Parlamenten tun so, als hätten sie von der Ruchlosigkeit dieser Denkungsart noch nie gehört.“

Dem ist heute nichts hinzufügen, bis auf den Hinweis, daß der unverschämte Ton dieser Zeilen schon gesühnt, ein Dutzend Protestbriefe sturzbetroffener GewerkschafterInnen seinerzeit abgedruckt wurde. Wenn es auch dieses Mal über Beleidigtseinskundgebungen nicht hinausreicht, können Zuschriften also unterbleiben. Äußerst willkommen aber wären Hinweise, daß sich am stahlinistischen Gedankengut der Gewerkschaften, dem Pendant der Kapital-Ideologie vom ewigen Wachstum, in den vergangenen fünf Jahren irgend was geändert hat. Mir scheint eher das Gegenteil der Fall, der galoppierende Irrsinn der Arbeitsplatzerhaltung um jeden Preis hat mit der Wiedervereinigung noch weiteren Schub erhalten. Mit wahrer Inbrunst wird in der Ex- DDR für den Erhalt ekelerregender Braunkohle, ätzend explosiver Chemiewerke und verrotteter Schwerindustrie gekämpft. Stahlinismus – das ist der schweflige Volldampf des 19. Jahrunderts. Ins 21. mögen wir uns damit gerade noch retten, fürs 3. Jahrtausend ist er ein Desaster.