■ Das Portrait: Philippe Morillon
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Foto: Reuter
Sein plötzlicher Positionswechsel zugunsten der bosnischen Muslime ist ihm nur schwer abzunehmen. Hatte doch Philippe Morillon, UN- Kommandeur in Bosnien, bisher stets eine eher proserbische Position bezogen. Hatte nicht nur den „Hungerstreik“ Sarajevos, sondern auch die Politik des bosnischen Präsidenten Izetbegović verurteilt. Indem dieser, so der 57jährige Franzose unlängst, „jeden Tag neue Waffen fordere, zeige er, daß er für eine Fortsetzung des Krieges sei“. Und nun soll der im Algerienkrieg geschulte Soldat auf einmal bereit sein, mit seinem „freiwilligen“ Aufenthalt im ostbosnischen Srebrenica das „Leid der Menschen zu lindern“? Da überrascht allein die Wortwahl. Hatte doch der General noch vor kurzem die Versorgungslage in Ostbosnien mehr als nur verharmlost: Die Bevölkerung der Bergdörfer sei an harte Winter und Selbstversorgung gewöhnt.
Kein Problem scheint die Beurteilung des soldatischen „Ausharrens“ der französischen Regierung zu bereiten. Der Mann hat Mut, so tönt es aus Paris. Tatsächlich jedoch hat der Mann vor allem Ehrgeiz. Der Vier-Sterne-General, ausgebildet an der Militärschule in Saint-Cyr, Generalstabschef der ersten französischen Armee, will bei seinem freiwilligen Einsatz in Bosnien endlich einmal einen Erfolg sehen: Seit er im Herbst 92 nach Bosnien kam, reihte sich Niederlage an Niederlage: UN-Hilfskonvois wurden zur Umkehr gezwungen, ein Waffenstillstandsabkommen kam nicht zustande.
Der Mann hat aber auch Selbstbewußtsein. Persönliche Konsequenzen für sein Versagen im Januar 92, als serbische Truppen unter den Augen der Blauhelme den bosnischen Vizepremier erschossen, lehnte er ab. Jede Kritik an seinem Besuch in Cerska, bei dem es ihm „gelungen“ war, innerhalb einer Stunde zu überprüfen, daß es in der Gemeinde keine Massaker gegeben hatte, wies er entschieden zurück.
Schließlich fehlt es dem „Soldaten, der den Geruch des Todes kennt“, aber auch nicht an der Fähigkeit, sich schnell auf neue Situationen einzustellen. Und hier dürfte dann auch die eigentliche Erklärung für seinen Aufenthalt in Srebrenica liegen: Der ungeliebte General, von wütenden Muslimen am Verlassen der Stadt gehindert, beschließt aus der Not eine Tugend zu machen: Philippe Morillon „rettet die Bevölkerung Srebrenicas“. Sabine Herre
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