Wird Bosnien zum zweiten Grenada?

■ Forderung, US-Bodentruppen zu entsenden, wird lauter

Washington (taz) – „Vietnam“ war lange Zeit das warnende Schlagwort von US-Generälen und Militärexperten, wenn es um eine mögliche Intervention in Bosnien-Herzegowina ging. Man hüte sich nun davor, Schlagworten und Schlagzeilen zu viel Bedeutung beizumessen. Doch auffällig war es schon, als die Washington Post Befürwortern einer Intervention eine ganze Seite einräumte, mit dem Untertitel, eine Intervention gegen die Serben würde eher an Grenada als an Vietnam erinnern.

Über den Überfall auf die kleine Karibikinsel gibt es bekanntlich höchst unterschiedliche Ansichten. Fakt ist, daß das Schlagwort „Grenada“ im Gedächtnis der US-amerikanischen Öffentlichkeit als kurze, erfolgreiche Militäraktion hängengeblieben ist. Der Vergleich dürfte genauso unsinnig sein wie die Analogie der Interventionsgegner zum Vietnamkrieg, doch sie signalisiert, daß nun vorstellbar ist, was vor kurzem noch undenkbar schien: US-Bodentruppen nach Bosnien zu schicken.

Allerdings hält die Clinton-Administration nach wie vor an ihrer Grundbedingung fest: keine Truppen zu entsenden, solange nicht alle drei Kriegsparteien bereit sind, den Vance-Owen-Plan zu unterzeichnen. Kritiker bezeichnen das als das Schlupfloch für die bosnischen Serben und die Regierung in Belgrad: Warum sollte die serbische Seite einem Vertrag zustimmen, der unter anderem die Präsenz ausländischer Truppen nach sich zieht?

Der bosnische UNO-Botschafter Muhamed Sacirbey warf Washington vor, keinerlei Druck auszuüben, um zugunsten der bosnischen Muslime Änderungen an der geplanten Aufteilung der Republik in zehn Provinzen vorzunehmen. Statt dessen soll der US- Sonderbeauftragte Reginald Bartholomew dem bosnischen Präsidenten Izetbegović als Gegenleistung für seine Unterschrift unter den gesamten Vance-Owen-Plan Wiederaufbauhilfe für die muslimischen Provinzen versprochen haben. Damit will Washington auch dann schon beginnen, wenn die serbische Seite weiterhin ihre Zustimmung zum Vance-Owen- Plan verweigert und die Kämpfe in Bosnien weitergehen.

Doch solche Zusicherungen wirken fast zynisch angesichts der brutalen serbischen Angriffe auf muslimische Enklaven in Ostbosnien. Im von Serben eingeschlossenen Srebrenica sind Zehntausende von Artilleriebeschuß und vom Hungertod bedroht. Ärzte und Krankenschwestern operieren nach Angaben eines UNO-Arztes mit Gartensägen und zum Teil ohne jede Betäubung. Auch die US-Luftwaffe ist nicht annähernd in der Lage, durch Hilfsgüter aus der Luft genügend Medikamente in die Stadt zu schaffen. Das Wort „Wiederaufbau“ dürfte kaum im Wortschatz der Menschen dort existieren, solange ihr Überleben nicht garantiert ist.

Sollte die serbische Seite dem Vance-Owen-Plan nicht zustimmen, will die bosnische Regierung vor allem eines: Wenn dann nicht endlich das Waffenembargo aufgehoben werde, erklärte Bosniens Außenminister Haris Silajdzic am Freitag in Washington, dann „heißt das, daß wir im Rahmen globaler Arrangements geopfert werden.“ Das spielt zum einen auf den Widerstand der Europäer gegen die Aufhebung des Embargos an, zum anderen auf die Rücksichtnahme der Clinton-Administration gegenüber Rußland. Zwar hatte der russische Präsident Boris Jelzin vergangene Woche alle drei Kriegsfraktionen, also auch die Serben, aufgefordert, den Vance- Owen-Plan zu unterzeichnen. Doch der mögliche Einsatz von Nato-Truppen gegen serbische Verbände soll laut New York Times von seiten des russischen Botschafters in den USA mit dem Hinweis quittiert worden sein, daß dann die Ratifizierung des Start-II- Vertrages auf dem Spiel stünde. Das wiederum dürfte sofort auf die amerikanische Innenpolitik durchschlagen.

Verteidigungsminister Les Aspin erklärte am Sonntag in einem Fernsehinterview, die geplanten Kürzungen im Rüstungshaushalt, einer der zentralen Punkte im Clintonschen Wirtschaftsprogramm, müßten neu überdacht werden, sollte es in Rußland zu einer Machtverschiebung zugunsten der politischen Rechten kommen. Andrea Böhm