Hoechste Gefahr in Frankfurt

■ Toter bei Explosion / Methanolwolke / Joschka sauer / Hoechst-Aktie fällt

Frankfurt/Main (taz/dpa) – Feuer und Flamme bei der Hoechst AG. Um 7.47 Uhr ereignete sich gestern morgen im Stammwerk der Hoechst AG in Höchst ein weiterer folgenschwerer Unfall: Bei einer Explosion in einem Produktionsgebäude zur Herstellung von Bindemitteln für Klebstoffe und Verbundglasscheiben wurde ein 59jähriger Mitarbeiter getötet – und ein weiterer schwer verletzt. Mit dem Rettungshubschrauber wurde der schwerverbrannte Mann in eine Spezialklinik bei Ludwigshafen geflogen.

Bei dem Brand nach der Explosion trat eine imposante schwarze Rauchwolke mit einem Gemisch aus Methanol und Ruß aus dem zerstörten Gebäude aus. Eine zweite Schadstoffwolke, die den krebserzeugenden Stoff Venylazetat enthielt, entwich, nachdem beim Herunterfahren der Anlage mehrere Kessel, in denen sich die Nebenprodukte bei der Bindemittelherstellung sammeln, wegen Überhitzung und Berstschutzbruch aufrissen. Vom Gewerbeaufsichtsamt und der Berufsfeuerwehr umgehend durchgeführte Messungen seien, so Frankfurts Umweltdezernent Tom Koenigs, negativ verlaufen. Ein Sprecher der Umweltschutzorganisation Greenpeace erklärte, eine mögliche Gefährdung der Bevölkerung sei von der Menge des freigesetzten Methanols abhängig. Wiviel Methanol freigesetzt wurde, ist bislang nicht bekannt.

„Jetzt muß Schluß sein“, meinte der hessische Umweltminister Joschka Fischer zur taz, der zusammen mit Ministerpräsident Hans Eichel den Vorstand der Hoechst AG für gestern abend in die Staatskanzlei zum Rapport bestellt hat. Für Fischer hat die Hoechst AG mit ihrer Störfallserie die Frage nach der Zukunft des Chemiestandortes Hessen selbst aufgeworfen. Der Vorstand, so Fischer, müsse erklären, daß die Hoechst AG in der Lage ist, ihre Anlagen zukünftig sicher zu betreiben: „Kann Hoechst diese Erklärung nicht abgeben, muß ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob Hoechst seine Anlagen dann noch weiter betreiben darf.“

Die Explosion im Stammwerk ist der neunte Unfall bei der Hoechst AG innerhalb von drei Wochen. Noch am Freitag hatte Fischer die Vertragsunterzeichnung mit dem TÜV-Hessen und dem TÜV- Rheinland-Pfalz zur Durchführung der „zweiten Stufe des Sicherheitsprogramms für Chemieanlagen in Hessen“ verkündet. Im Rahmen dieses Untersuchungsprogramms sollen hessenweit 100 Chemieanlagen unter die Lupe genommen und Sicherheitsmängel anschließend beseitigt werden. Daß es bei der Minimierung des Störfallrisikos allerdings nicht nur um die Optimierung der Anlagentechnik gehen kann, weiß auch der Minister. Beim vorletzten Störfall bei der Hoechst-Tochter Kalle in Wiesbaden hatte ein Arbeiter eine defekte Dichtung entfernt – und war nach Hause gegangen, ohne eine neue Dichtung einzulegen.

Nach der gestrigen Explosion sagte der zuständige Produktionsleiter auf einer Pressekonferenz, daß es bereits in der Nacht gegen 3.30 Uhr an der Anlage zu einem Störfall gekommen sei. Mit der Reparatur habe man bis zur Tagschicht gewartet, weil da „erfahrene Leute“ mit den Arbeiten hätten betraut werden können.

Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) kündigte gestern massive staatliche Kontrollen des Chemie-Konzerns an. Rechtlicher Änderungen bedürfe es nicht, aber die Umsetzung in die Praxis müsse „massiv verbessert“ werden.

Die Hoechst-Aktie fiel in Frankfurt um 4,80 auf 249 Mark. Seiten 3 und 10