Nicht mehr schizophren

■ „Art und Alk“ Nr.5: Das Waller „backbord“ — Von Arbeiterkneipe über DKP-Treff zur Nachbarschaftsszene

Es heißt ja gar nicht mehr Hart backbord, auch wenn das viele WallerInnen noch so sagen, sondern backbord, mit besonderer Absicht, so Betreiber Alexander Becker (32), denn: „ich wollte keine Politkneipe, ich wollte eher die Tradition der Eckkneipe weiterführen.“ Also nicht mehr „scharfe“ Linkswende, wie 1982 bei der Wiedereröffnung der ehemaligen Waller Hafenarbeiterkneipe, als sich hier noch der Shantychor „Hart backbord“ traf und jede Menge DKP-KämpferInnen. „Die Zeiten sind vorbei“, sagt Alexander, „ich bin selbst aus der DKP-Zeit herausgewachsen und habe diese Schizophrenie überwunden - zum Glück“.

Seit 1986 hat Alexander das backbord in der Hand. Eine rote Licherkette leuchtet vor dem Eingang des stattlichen Hauses in der Vegesacker Straße, das, 1907 gebaut, der Nachkriegszeit sogar mal amerikanisches Kasino war, wobei die deutsche Wirtin dann angeblich wegen einer Schwarzgeld-Affaire verhaftet worden war und ein Sohn nur widerwillig und traurig den Laden fortführte.

In mancherlei Beziehung steht das backbord in direkter Konkurrenz zur Szenekneipe „Kairo“. Hier wie dort gibt es Musik, Ausstellungen, Kabarett und eine Spielwiese, beide Kneipen sind für ihre Gäste ein bißchen das „Wohnzimmer“ um die Ecke — aber das backbord ist, sozusagen, gemäßigter. Da gibt's die Lehrer-, Volleyball-, und Pastorenstammtische. SchülerInnen treffen sich hier und viele junge Eltern, die ihre reizenden Kinderchen mitschleppen. Auf allen Holztischen stehen Vasen mit frischen roten Tulpen.

Ende März werden hier die verrückten KünstlerInnen aus dem Blaumeier-Atelier ihre Arbeiten zeigen. Ansonsten aber sind es traditionellerweise die KünstlerInnen unter den Gästen, die es wagen, ihre Bilder und Objekte dem Kneipendunst auszusetzen. Fotoausstellungen, Ölbilder, Aquarelle und sogar Arbeiten mit Sand aus Dänemark - und wenn mal gerade eine allgemeine Schaffenspause eintritt, leiht Alexander Bilder aus der Graphothek. Till Mette, der erst aus Walle und dann nach Amerika emigrierte Taz-Zeichner hat hier seine berühmte „Tapetum“-Aktion gemacht — das ganze backbord war mit 30 Meter Nessel tapeziert, voller wilder Kneipenszenen in Blautönen.

Heute übrigens tritt das backbord in Grün-Weiß auf — nicht aus Werderfan-Gründen, nein, es ist „St.Patrick-Day“. Der Nationalheilige der Iren muß mit viel, viel Guiness gefeiert werden. Cornelia Kurth