Schulnotstand, Karl-Lerbs-Straße zum Beispiel

■ Grundschule platzt aus allen Nähten / Musikunterricht auf dem Flur / Behörde sieht Bedarf, aber kein Geld

Eine ganz normale Musikstunde an der Neustädter Grundschule Karl-Lerbs- Straße: Aus einer Ecke des Schulflurs tönt das Klavier, die Kids sitzen an den Flurwänden, „Der Winter ist gekommen“ schallt durch das gesamte Gebäude. Hinter den Türen, die von besagtem Flur abgehen, findet derweil Unterricht statt. Auch in zwei ehemaligen Lehrmittelräumen — da, wo früher nur Karten, Bücher und Spielzeug aufbewahrt wurden. Hier, in diesen engen, mit Büchern vollgestopften Kabuffs ist es muffig und dunkel. Wenn hier zwölf Kinder ihren Gruppenunterricht haben, kann sich nicht mal mehr jemand in Richtung Tafel quetschen. Sprachförderunterricht gibts im ehemaligen Arztzimmer — zwischen Liege, Waage und Sprachbucharchiv.

Die Grundschule Karl-Lerbs- Straße platzt aus allen Nähten - jeder halbwegs annehmbare Raum wird genutzt, Lehrmaterialien stapeln sich in Garderoben und Unterrichtsräumen. Zur Zeit gibt es ein festes Klassenzimmer und vier Gruppenräume, die zum Unterrichten nicht geeignet sind. Immer mehr Kids wohnen im Einzugsgebiet der Schule: „In den Gewoba- Häusern drumherum hat ein Generationswechsel stattgefunden, von dort kommen jetzt viel mehr Kinder — und hier wohnen sehr viele Aussiedler- und Ausländerkinder“, betreibt Direktorin Elke Jorek Ursachenforschung. Seit drei Jahren wird die Schule nach und nach von drei Klassenzügen auf vier erweitert. Die SchülerInnenzahl der einzelnen Klassen blieb dabei gleich — so liegt die Vermutung nah, daß bei der Erweiterung der Schule eine gewisse Raumnot absehbar war. Bereits vor zwei Jahren wandte sich die Direktorin mit der Forderung nach neuen Räumen erstmals an die Bildungsbehörde. Die Karl-Lerbs-Schule ist die einzige Grundschule in der Neustadt, wo eine Erweiterung überhaupt möglich ist, und ein Erweiterungsbau ist in alten Planungen ausgewiesen. „Man hat mir in allen Forderungen Recht gegeben“, sagt Elke Jorek — doch die schulterzuckende Antwort der Behörde: Für einen Neubau ist kein Geld da.

Der Differenzierungsunterricht in kleinen Lerngruppen fällt oft weg — niemand weiß, wo der stattfinden soll. Wenn, siehe oben. Daß Unterricht lieber hautnah als frontal sein sollte, kann so nicht gemeint gewesen sein. Und völlig illusorisch wird die Idee, eine volle Halbtagsschule werden zu wollen: „Für berufstätige Mütter wäre es absolut wichtig, daß unabhängig vom Stundenplan für alle Kinder der Unterricht um halb acht beginnt und um 13 Uhr aufhört“, sagt Jorek. Doch dafür bräuchte die Schule mindestens zwei Betreuungsräume. Zusätzlich.

Hilfe von den umliegenden Grundschulen ist nicht zu erwarten, ganz im Gegenteil: Die Schulen in der Kantstraße und am Buntentorsteinweg sind ebenfalls voll. Und von der Wohnbebauung am Niedersachsendamm erwarten die Schulen mehr Kids für alle.

Jetzt machen auch die Eltern mobil: Für heute abend, 18 Uhr, haben sie Bildungssenator Henning Scherf geladen. Den erwartet eine Protestaktion und eine lange Unterschriftenliste - denn Alternativen zu einem Neubau sehen die Eltern keine: „In den Köpfen geistern da nur ganz schlechte Ideen herum“, sagt Elternsprecherin Imke Hamelmann — wandernde Klassen, Unterricht in Containern, Nachmittagsunterricht. Keine erfreulichen Aussichten.

Das Bildungsressort wollte gestern zu den Zuständen in der Schule keine Stellungnahme abzugeben. Sprecher Werner Alfke meinte, der Scherf-Besuch sei ohne Öffentlichkeit geplant. skai