"Jetzt müßt ihr aufsteigen"

■ Handball fürs Selbstbewußtsein, in Rheinhausen und der Thüringer Provinz

Suhl (taz) – Eine proppenvolle Sporthalle, das Spiel auf Video- Leinwand für Hunderte von Fans, ein Troß von Bussen und Autos als Begleitung zum Spiel, eine Cheerleadergruppe, Trommeln – das ist die ganz große Handballwelt. Von wegen. Das ist Handball in der Provinz, das ist Suhl gegen Rheinhausen – gespielt in Franken.

Symbolisch die Szene nach dem Abpfiff. Spieler und Verantwortliche des OSC Rheinhausen liegen sich in den Armen, das 25:22 beim HSV Suhl hat ihnen die erste Bundesliga ein Stück näher gebracht. Der russische Star Aleksandar Rymanow, der schon Goldmedaillen bei Olympia, die Weltmeisterschaft und den Europapokal gewonnen hat, sitzt fassungslos auf dem Boden. Der 31jährige sagt, das bedeute ihm soviel wie seine internationalen Triumphe. Er stimmt das russische Volkslied Kalinka an und gibt keine Ruhe, ehe nicht alle mitsingen.

Auf der Rückreise am Sonntag treffen sich Mannschaft und Fans auf einer Autobahnraststätte und feiern, wie zuvor verabredet.

Zwei Stunden später kehrt der erfolgreiche Betriebsausflug wieder in die triste Vorstadt von Duisburg zurück. Rheinhausen war in den Schlagzeilen die vergangenen Wochen, wegen der Schließung des Stahlwerks und der Entlassung von 2.500 Stahlkochern. Die Handballer bekamen plötzlich eine besondere Rolle: Hoffnungsträger. Wolfgang Trepper, Abteilungsleiter beim OSC, bekam auf der Geschäftsstelle Besuch von Arbeitslosen und den Wunsch zu hören: „Gewinnt, daß endlich mal positiv über Rheinhausen berichtet wird.“

Am Montag dann haben sie ihn unzählige Male auf der Straße angesprochen: „Jetzt müßt ihr aufsteigen.“ Wie eng die Verbindung von Sportlern und Arbeitern ist, hat sich auf einer Demonstration gezeigt. Trepper war dabei und weiß, daß auch „viele Spieler mitgegangen sind“. Für das nächste Heimspiel gegen Dutenhofen werden einige hundert Freikarten ausgegeben, in Absprache mit dem Betriebsrat.

Während die Stahlarbeiter ihren Existenzkampf verloren haben, liegt die des OSC in der Hand der Werfer. Wenn die höchste Spielklasse nicht geschafft wird, droht trotz der großen Tradition dieser Sportart das Aus. Dann, schwant Trepper, „springen die Sponsoren ab, und wir können unsere Besten nicht halten“. Und dann bleiben die Zuschauer weg.

So dramatisch ist die Situation beim HSV Suhl nicht. Hier haben die Fans noch Geduld mit ihren Sportlern. Nach dem verlorenen Spiel trafen sich immerhin noch 500 zu einer Fete mit der Mannschaft und schauten sich die Partie noch einmal auf einer Großleinwand an. Trainer Funk kommentierte, und das Bier floß reichlich. Der HSV ist beliebt in Südthüringen, 15 Prozent Arbeitslose hat die Region, und viele geben die letzte Mark, um zu den Auswärtsspielen oder nach Coburg zu reisen. Dort spielen die Suhler, weil ihre Stadthalle umgebaut wird, aber ein Nachteil ist das nicht. Alle vierzehn Tage rollen gut zehn Reisebusse und ein Konvoi von Privatwagen die sechzig Kilometer in die fränkische Kleinstadt – 1.400 füllen dann die Halle, angefeuert von einer Cheerleadergruppe. Und 200 fahren mit Trommeln zu jedem Auswärtsspiel.

Bisweilen ist Handball mehr als Sport. Wenn er gebraucht wird, um den Leuten ein Stück Selbstbewußtsein zu geben – so wie in Suhl und Rheinhausen. Max Faber