Zukunfts-Hoffnungs-Licht

■ Richard Wagners „Siegfried“ an der Hamburger Staatsoper

Als die Götter in Walhall eingezogen waren, sah es so aus, als wollte Hamburg einen ganz großen und schönen „Ring“ aus dem „Rheingold“ schmieden. Nach der „Walküre“ war jedermann entsetzt. „Siegfried“ hat nun im Orchestergraben und auf der Bühne wieder Boden gutgemacht. Dirigent Gerd Albrecht frönte seiner Neigung zu kammermusikalischer Aufhellung der Partitur und stieg in die Labyrinthe der klanglichen und motivischen Erzählströme. Man erfährt Überraschendes. Mimes „zullendes Kind“ hat zum Beispiel hörbar den Untergrund eines jiddischen Volksliedes.

Wie ist die Lage in Wagners Kosmos der Götter und Menschen?

Das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde hat Wotan einen Enkel, Siegfried, gezeugt, Wotans Lieblingstochter Brünnhilde schläft auf umlohtem Felsen ihrer Erweckung durch den hehrsten Helden der Welt entgegen, und die Nibelungenbrüder Alberich und Mime warten Jahr um Jahr auf die Chance, den Ring wiederzukriegen. Der aber liegt begraben unter den Leibesmassen des Riesen Fafner in der Neidhöhle, während das in der Montanbranche beschäftigte Nibelungenvolk arbeitslos dahindämmert; in einem schmalen Lichtspalt auf der schwarzen Bühne vor Beginn zu besichtigen. Nach dem Einblick in die Tiefe der Erde sind wir alsbald in Mimes schwarzer Wohnschmiede mit Giftküche. Schwarze Wände verschließen sie vor der Welt, die dahinter in leuchtenden Farben und verlockender Weite zu ahnen ist. Wenn der Wanderer in die Schmiede kommt, um mit Mime seine abgefeimte Wette abzuschließen, wenn Siegfried „aus dem Wald fort, in die Welt“ ziehen will, öffnen sich vielerlei Türen, Spalte und Luken vor strahlendem Zukunfts-Hoffnungs-Licht.

Regisseur Günter Krämer hat das von Wagner als heiteren Einschub in die Tetralogie gedachte Werk auch so angelegt. Etwas Schelmenstück, mehr Entwicklungsroman vor einer Kunst-Natur, ein Märchenspiel von einem, der auszog...

Den Seppelhosen-Siegfried gibt Heinz Kruse als lernbegierig-kritischen Burschen, zu groben Scherzen geneigt, aber die Boshaftigkeit anderer Interpretationen dieser Figur unterdrückend. Kruse, ehemals Tenorbuffo, singt sich wunderbar leicht durch die monströse Partie, weiß fast liedhaft zu gestalten und kann sich bis zum Finale immer noch steigern.

Vorahnungen des „Fürchtens“ befallen den heldenhaften Jungschmied bei der allerersten Begegnung mit dem weiblichen Element. Krämer zeigt Gnade: vor der Begegnung Siegfrieds mit Brünnhilde, klangmächtig Gabriele Schaut, zaubert er eine niedliche Jägerin mit grünem Federhütchen aus dem Tann; sie trägt einen Waldvogel auf der Hand und versucht zu kommunizieren, was bekanntlich erst gelingt, nachdem Drachenblut geflossen ist.

Der auf den Tod verwundete Lindwurm Fafner scheint es tief zu bedauern, daß er den sympathischen Burschen zum Feinde hatte und ihm nicht mehr als Ring und Tarnhelm auf den Weg in eine Welt voller Gauner mitgeben kann. Die haben längst vor der Drachenhöhle Position bezogen.

Der Wanderer und Alberich entpuppen sich als gleiche Brüder mit gleichen Kappen respektive den gleichen schlappen Hüten entthronter Weltenherrscher. Alfred Muff und Günter von Kannen, zwei intelligente Sänger, lieferten sich ein amüsantes Rückzugsgefecht, bei dem beide verlieren und keiner es zugibt.

Wagners Unvermögen, ein heiteres Stück durchzuhalten, und das noch ausgeprägtere Unvermögen, zum Schluß zu kommen, fordern im dritten Siegfried-Akt heroisches Durchhaltevermögen. Krämer belohnt es mit Bildern. Das Schönste zum Schluß: Zwischen Siegfried und Brünnhilde hängt eine milchig-diesig angeleuchtete halb durchsichtige Courtine, ein Schleier über beider Seelen. Beide tasten sich durch den Nebel zueinander, zerreißen ihn endlich. Irene Tüngler

„Siegfried“ von Richard Wagner in der Hamburger Staatsoper, Inszenierung: Günter Krämer, musikalische Leitung: Gerd Albrecht, Bühne: Andreas Reinhard. Mit Heinz Kruse, Gabriele Schaut u.a. Nächste Vorstellungen: 20., 23., 31. März