El Salvador braucht eine neue Armee

Die Wahrheitskommission macht das Militär für über 90 Prozent der Zivilopfer im elfjährigen Bürgerkrieg verantwortlich/ Fast alle hohen Offiziere sollen zurücktreten  ■ Aus San Salvador Ralf Leonhard

Wer den Bericht der Wahrheitskommission über El Salvador liest, versteht, warum Regierung und Armeeführung die Veröffentlichung des Dokuments über Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg möglichst lange hinausschieben wollten. Er ist eine Abrechnung mit einem System, das die unglaublichen Greueltaten, die im letzten Jahrzehnt die Geschichte El Salvadors prägten, möglich machte. Die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Belisario Betancur scheute sich nicht, auch mächtige Männer, die sie für schuldig befand, beim Namen zu nennen.

Das Gremium, das ein halbes Jahr lang die Verbrechen der elf Bürgerkriegsjahre untersuchte, empfiehlt die sofortige Ablösung fast aller hohen Offiziere des Generalstabs und den Rücktritt der Richter des Obersten Gerichtshofs. Vor allem dessen Präsidenten, Mauricio Gutierrez Castro, wirft die Kommission Obstruktion der Justiz vor. Prominenten Mitgliedern und Sponsoren der regierenden ARENA-Partei weist sie Verbindungen zu den rechtsextremen Todesschwadronen nach.

Noch bevor die Wahrheitskommission am Montag vormittag in New York ihren Bericht an den UNO-Generalsekretär, Vertreter der salvadorianischen Regierung und Repräsentanten der ehemaligen Guerillafront FMLN übergab, hatte Präsident Cristiani in einer Botschaft an die Nation vor überzogenen Reaktionen gewarnt. Christiani, der sich jetzt von vielen seiner engsten Mitarbeiter verabschieden muß, wollte den Bericht vorerst nicht kommentieren, sprach sich aber für eine baldige Generalamnestie aus.

Auch die Nationalversammlung will die im Bericht genannten Personen amnestieren. Doch während die Rechtsparteien das Amnestiegesetz möglichst schon morgen beschließen wollen, verlangt die Linkskoalition Convergencia Democratica, zuerst die Empfehlungen der Wahrheitskommission umzusetzten. Die Erkenntnisse der Kommission haben zwar keine unmittelbaren juristischen Konsequenzen. Beide Konfliktparteien haben sich aber verpflichtet, ihre Empfehlungen zu respektieren.

Der mehr als 800 Seiten starke Bericht basiert auf über 2.000 Interviews und Zeugenaussagen, beschränkt sich aber auf die detaillierte Darstellung von 32 besonders schwerwiegenden Fällen und veröffentlicht nur Daten, die die Kommission für absolut gesichert hält.

Die politische Bombe, die am Freitag bereits den Rücktritt von Verteidigungsminister Rene Emilio Ponce ausgelöst hatte, ist die Aufklärung der Hintergründe des Massakers an sechs Jesuitenpatres und deren Hausangestellten im November 1989. In der Nacht des vierten Tages der größten Guerillaoffensive in San Salvador hatte der Generalstab damals beschlossen, verstärkt Artillerie gegen die umkämpften Viertel einzusetzen und gezielt einige als besonders gefährlich eingestufte Zivilisten zu ermorden. Im kleinen Kreis sei anschließend die Entscheidung gefallen, Ignacio Ellacuria, den einflußreichen Rektor der Jesuitenuniversität, hinzurichten, den die Militärs für den geistigen Ziehvater der Aufständischen hielten. Anwesend waren die Generäle Ponce, Zepeda, Montano, Bustillo und Rubio sowie die Obersten Elena Fuentes und Benavides. Benavides, der später als einziger hoher Offizier für die Tat verurteilt wurde, soll von General Ponce persönlich den Befehl zur Tatausführung erhalten haben.

Christiani hatte Ponce, Orlando Zepeda, bis dato Vizeminister für Verteidigung, und Generalstabschef Gilberto Rubio, bisher in ihren Ämtern belassen, obwohl eine andere Kommission bereits die Säuberung der Streitkräfte empfohlen hatte. Die anderen Teilnehmer an der Verschwörung wurden inzwischen pensioniert oder auf diplomatische Posten versetzt.

Auch im Fall des vor 13 Jahren ermordeten Erzbischofs Oscar Arnulfo Romero fand die Wahrheitskommission ausreichend Hinweise, um den ehemaligen Geheimdienstoffizier Roberto D'Aubuisson als Auftraggeber auszumachen. D'Aubuisson, der vor einem Jahr als honoriger Abgeordneter und Ehrenpräsident der ARENA an Krebs starb, soll ein Killerkommando auf den sozial engagierten Kirchenmann angesetzt haben. Diese durch glaubhafte Aussagen untermauerte Version deckt sich mit der einst von Präsident Duarte verbreiteten, von ARENA aber immer wieder bestrittenen Darstellung.

Die unmittelbar Verantwortlichen für die Massaker an tausend Campesinos in der Ortschaft Mozote, an Hunderten Flüchtlingen am Rio Sumpul, für die Massaker von El Junquillo, Las Hojas und San Sebastian sind entweder schon tot oder nicht mehr in führenden Positionen. In anderen Fällen werden nur allgemein die Sicherheitskräfte oder Todesschwadrone beschuldigt. Der Mord am Sozialdemokraten Hector Oqueli und der Bombenanschlag auf das Lokal des Gewerkschaftsbundes „Fenastras“ bleiben weiter unaufgeklärt. Insgesamt werden die Streitkräfte oder die mit ihnen liierten Todesschwadronen für über 90 Prozent der zivilen Opfer des Krieges verantwortlich gemacht. In den Mordfällen des ehemaligen Generalstaatsanwaltes Francisco Guerrero und des Präsidialministers Rodriguez Porth, die die Regierung der Guerilla anlastet, fand die Kommission keine eindeutigen Beweise. Sie verurteilt aber die FMLN für die Mordanschläge auf den Universitätsprofessor Francisco Peccorini, den Generalstaatsanwalt Garcia Alvarado und den Überläufer Miguel Castellanos.

Für die Hinrichtung von elf Bürgermeistern in der Kriegszone macht sie sogar das Politkomitee des Revolutionären Volksheeres (ERP) verantwortlich und nennt die Namen von Joaquin Villalobos, Ana Guadalupe Martinez und vier weiteren Comandantes. Sie sollen für zehn Jahre von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden.

Daß das ERP auch den 1987 ermordeten Präsidenten der Menschenrechtskommission, Herbert Anaya Sanabria, auf dem Gewissen haben soll, bestritt Villalobos am Montag in einer Pressekonferenz. Die Kommission fand zwar keine Beweise, aber zahlreiche Indizien, daß Anaya, der vorher schon wegen Disziplinlosigkeit von seiner Organisation gemaßregelt worden war, einer internen Abrechnung zum Opfer gefallen sein könnte. Vertrauenswürdige Quellen im ERP, die darüber Bescheid wissen müßten, erklärten sich völlig überrascht über den Verdacht. Auch Anayas Witwe und ein Sprecher der Menschenrechtskommission lehnten die im Bericht geäußerten Vermutungen ab. Menschenrechtsaktivisten in San Salvador bedauern, daß der Bericht den Verbindungen reicher Familien im Exil zu den paramilitärischen Gruppen im Land nicht weiter nachgeht. Der Kommission liegen darüber weit mehr Daten vor, als sie veröffentlichte. Der Bericht fordert jedoch eine ausführliche Untersuchung dieser Verbindungen und wirft der US-Regierung vor, in den Jahren 1980 bis 1983 kriminelle Geldtransfers aus Miami toleriert zu haben.

Mit der Veröffentlichung des Berichts soll das letzte Kapitel des salvadorianischen Bürgerkriegs abgeschlossen und der Weg für die nationale Versöhnung bereitet werden. Deswegen empfiehlt die Kommission nicht die gerichtliche Verfolgung der Beschuldigten. Diesem Wunsch schließt sich auch Jose Maria Tojeira, der Provinzial des Jesuitenordens, an: „Den Schuldigen soll vergeben werden. Doch ist es jetzt an der Zeit, mit den Strukturen ins Gericht zu gehen, die derartige Verbrechen möglich machen.“