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Der Legionär und sein Bruder

Zwei Ghanaer, die in Deutschland leben: Anthony Yeboah, Fußballprofi („Ich bin ein Held“); Appiha, Asylbewerber („Heimat, was ist das?“)  ■ Von Cornelia Heim

„Husch, husch, husch – Nigger in den Busch“. Solche Parolen gehören für Anthony Yeboah zu den taktischen Spielchen der gegnerischen Fans. Für den Mann aus Ghana gibt es in Deutschland keine Ausländerfeindlichkeit. Nicht in den Stadien, nicht im Alltag. „Die Probleme kommen durch die Asylbewerber.“

Appiha ist 35, Asylbewerber. Er lebt seit acht Jahren in Deutschland. Vor sechs Monaten kam Sohn Kinsjley auf die Welt. Eine Frühgeburt, im siebten Monat. „Das Baby hätte in Ghana keine Überlebenschance gehabt,“ sagt der Vater.

Seit 1991 dürfte er arbeiten, aber Appiha findet keinen Job. Mit Frau Addai und zwei kleinen Kindern lebt er von 1.300 Mark Sozialhilfe monatlich im Wohncontainer. 1987 schon wurde der Asylantrag abgelehnt. Die Familie ist „geduldet“, wird aus humanitären Gründen nicht abgeschoben. Ein Leben zwischen Hoffen und Bangen. Die Aufenthaltsgenehmigung ist auf ein halbes Jahr befristet. Dann beginnt der Behördengang erneut.

Anthony Yeboah kennt viele Asylbewerber. Früher waren sie seine einzigen Ansprechpartner in der ihm fremden Kultur. Besucht hat er sie jedoch nie in ihren kargen Unterkünften. Anthony Yeboah führt keinen Papierkrieg mit der deutschen Justiz. Er hat einen Job – Tore schießen. Yeboah ist einer der 54 Legionäre der Fußball-Bundesliga. Sein Talent ist 800.000 Mark im Jahr wert (nach dem Poker mit Bayern München künftig vermutlich einiges mehr). Sein Eigenheim in Bruchköbel liegt 20 Autominuten vom Frankfurter Waldstadion entfernt. Yeboah hat sich nach vier Jahren in der Bundesrepublik behaglich eingerichtet. Mit „riesiger Hifi-Anlage“ für seine Leidenschaft – Reggae- Rhythmen oder Funk. Mit Videokassetten im Schrank von allen internationalen Fußball-Schlagern. Mit einem BMW vor der Haustür. Auch Frau Thesha und die zweijährige Tochter Shereera sind zufrieden. Ein Eintracht-Fanclub heißt „Die Zeugen Yeboahs“ – der Starkult um einen Torjäger.

„Ich fühle mich wohl“, lacht der Mann die Journalistin an und schiebt die Ärmel über die Ellbogen. Er schwimmt im Moment auf der Erfolgswelle ganz oben. Bayern München wollte ihn, zwei italienische Clubs auch. Der Mann ist begehrt, er bestimmt, wer in seinem Umfeld „geduldet“ wird. Die bürokratischen Formalitäten erledigt sein Arbeitgeber – Eintracht Frankfurt. Drei Jahre läuft der Arbeitsvertrag, solange gilt auch sein Visum.

Appiha weiß nicht mehr, wohin er gehört: „Heimat, wo ist das?“ Ist es der winzige Raum im Container, der 55 Asylbewerbern in Böblingen gerade mal ein Dach überm Kopf bietet? Ist es Ghana, sein Geburtsland, aus dem er vor acht Jahren aus Angst um sein Leben geflohen war?

20 Briefe bekommt Anthony Yeboah jede Woche vom Land an der Goldküste. „Jedes kleine Kind in Ghana kennt mich“, sagt er lachend in der Eintracht-Gaststätte, nachdem ihn Trainer „Stepi“ aus dem morgendlichen Training entlassen hat. „Ich bin ein Held.“ Keiner ist populärer. Seine Landsleute wählten ihn zum Sportler des Jahres 92. Samstagnachmittag läuft in Ghana nichts, außer der Mattscheibe – Sportschau live im Entwicklungsland. Zehn Tore hat Yeboah in der Vorrunde geschossen. Zehnmal jubelten die Menschen mit ihrem prominentesten Sohn.

In Ghana, so meint Appiha, von Beruf Fahrer und Sohn eines Druckerei-Besitzers, würden sie ihn verfolgen. Nicht mit Autogrammwünschen. Nein, ihn würden sie sofort hinter Gitter stecken. Weil er damals, 1982, demonstriert habe – gegen die Enteignung der väterlichen Firma.

Auszug aus dem Jahresbericht von amnesty international – Ghana 1992: „Unter dem Druck nationaler wie internationaler Forderungen nach politischen Reformen stellte der herrschende Provisorische Nationale Verteidigungsrat unter Fliegerleutnant J. J. Rawlings für 1992 Wahlen und die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung in Aussicht. Rechtsvorschriften, die die willkürliche Inhaftierung von Personen zulassen, blieben dagegen in Kraft.“

Appiha ist verbittert. „Wohin soll ich gehen mit meiner Tasche voll Kleider?“ Sein Vater ist früh gestorben. Die Mutter von dessen Familie aus dem Haus vertrieben worden. Er wisse nicht, wo sie lebe. Kenne seine Geschwister nicht mehr. Und wenn er von Böblingen nach Stuttgart in der S-Bahn fährt, dann meint er, er habe die Pest: „Neben einen schwarzen Mann setzt sich keiner. Da bleiben auch die Alten lieber stehen.“ Würde er in Stuttgart aufgegriffen, müßte er mit einer Anklage rechnen. Wegen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz. „Geduldet“ ist er nur im Kreis Böblingen, den er nur mit einer Sondergenehmigung verlassen darf.

Anthony Yeboah, der Diplomatensohn, jettet um die Welt, besitzt auch ein Haus in Accra, der Hauptstadt. Wenn er Heimweh bekommt, bucht er einen Flug in die afrikanische Sonne oder holt seine Familie nach Frankfurt.

6.994 Ghanaer stellen 1992 einen Antrag auf Asyl in Deutschland. In Zirndorf wurden im letzten Jahr 3.515 Fälle entschieden. „Davon anerkannt wurden zehn“, berichtet der Vizepräsident des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Seine Folgerung: „99.7 Prozent der Antragssteller sind Wirtschaftsflüchtlinge“, sagt Wolfgang Weickhardt. Im Zweitverfahren jedochliegt die Anerkennungsquote wesentlich höher.

Aber auch Fußball-Profi Yeboah sagt: „Ein Arbeiter in den Goldminen verdient rund 500 Mark im Monat. Ghanaer kommen nach Europa, genauso wie Menschen aus Togo nach Ghana einwandern, weil es ihnen dort besser geht“, behauptet er, der selbst überall hingegangen wäre, um sein Fußball-Talent zum lukrativen Broterwerb zu machen: „In Ghana gibt es Reiche und viele Arme – aber keinen Mittelstand“, in der Beurteilung der gesellschaftlichen Situation sind sich Appiha und Yeboah einig.

Als „Geschenk Gottes“ empfindet der gläubige Katholik Yeboah seinen Erfolg. Vertrauen in die Kraft Gottes hat Appiha nicht mehr. „An was soll ich noch glauben?“ fragt der Methodist, der nach acht Jahren Nomadentum das Beten verlernt hat. Nigeria, Berlin, Karlsruhe, Stuttgart, Böblingen waren seine Stationen. 50 Asylbewerber lebten 1985 in Böblingen, der schwäbischen Kreisstadt mit ihren rund 50.000 Einwohnern. Heute sind es 500. Auf 600 soll die Zahl in diesem Jahr anwachsen.

Appiha, der „geduldete“ Vertriebene, guckt jeden Samstag Fußball. Bejubelt jedes Tor seines berühmten Landsmannes. Kein Neid, kein innerer Groll wegen der so unterschiedlichen Schicksale? „Neidisch?“, erstmals weiten sich die verschlossenen Augen entsetzt, „wieso um alles in der Welt neidisch? – Yeboah ist doch mein Bruder!“

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