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■ DaumenkinoSida – ein Adelstitel?

Geradezu zärtlich rief die französische Tageszeitung Libération dem am 5. März verstorbenen Regisseur Cyril Collard hinterher: „Collard, un garçon est mort“ – ein Junge ist tot, ein ragazzo, Emblem ewiger Jugend. Tränen vergoß ganz Frankreich bei der Verleihung des César am Sonntag darauf, bei der insgesamt vier Auszeichnungen an Collards „Wilde Nächte“ gingen; selbst Cathérine Deneuve ließ sich hinreißen. Fast konnte man den Eindruck haben, hier habe sich ein Märtyrer geopfert. Collard selbst spielt in seinem Film Wilde Nächte den HIV-positiven Jean, der sich weich, gitarrespielend und leidenschaftlich in das Pariser Nachtleben fallenläßt, mal mit Laura, mal mit Samy; mal geschützt, mal ungeschützt. In einem roten Jaguar rast er zwischen Tuntenszene, Disko, SM-Club, Straßentreff, Immigrantenfamilie und Cineastenmilieu hin und her – Aids verbindet sie alle, und Jean trägt es, wie einen Adelstitel. Wie ein Nachfahre des poète maudit, des maladen Dichters, wie bei Kafkas Tuberkulose und Nietzsches Syphilis wird so ein Zusammenhang konstruiert zwischen Kreativität und Krankheit, zwischen Hingabe und Todgeweihtheit. Weil kein Carposi-Syndrom, keine Mattigkeit und keine graue Haut zu sehen ist, wird Aids zur Metapher für den Sieg der Passion über die Prävention – kein Kondom stört sichtbar die Eruption der Leidenschaften, die Ungeschütztheit ist ein Treue- und Potenzbeweis. Aids eint die Parias mit den Integrierten, die Tunten mit den arabischen Machos, die Yuppies in den Diskos mit den Malochern im SM-Club. Sollte sich tatsächlich das Klischee vom Franzosen, der nun eben, „Oh lala!“, die Passion über alles stellt, mit solcher Macht durchsetzen? Die Rezeption von „Wilde Nächte“ in Deutschland wird's zeigen. mn

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