: Uferloses Grün der Tabakpflanzen
■ „Sommersby“ – ein Liebesdrama im amerikanischen Bürgerkrieg von Jon Amiel
Braungebrannt, bärtig und zerlumpt schlägt sich Richard Gere alias Jack Sommersby durch die Wälder des südlichen Nordamerikas. Wenn er ein Feuer macht, löscht er es mit der Decke und läßt sie gleich liegen, Schutz vor Kälte braucht er nicht – ein Mann, ein ganzer Mann! Endlich erreicht er sein Dorf. Sommersby ist aus dem Bürgerkrieg heimgekehrt, man schreibt das Jahr 1867 in Tennessee. Jodie Foster alias Laurel Sommersby steht auf dem Feld, rustikal-romantisch behütet und berockt, ein bezaubernder Laura- Ashley-Typ. Sie eilt ins Haus, als sie von der Ankunft ihres Mannes hört, und kommt ihm dann ausdruckslos entgegen. Hier stimmt was nicht, man merkt es gleich.
Sechs Jahre war Sommersby von zu Hause weg, seine Frau wollte ihn schon für tot erklären lassen und einen anderen ehelichen. Jetzt ist Jack wieder da und hat sich erstaunlich gewandelt: Er erobert Laurels Herz, das er zuvor nicht besaß, liest dem Sohn aus Homer vor, statt in Kneipen zu sitzen, bringt die örtliche Wirtschaft durch den Anbau von Tabak in Schwung, statt sein Hab und Gut zu verspielen, verpachtet Land auch an Schwarze, ist lieb und umgänglich – geradezu ein anderer Mensch. Und so ist es auch. In Wahrheit ist Gere gar nicht Sommersby, sondern ein kleiner Betrüger, der mit dem wirklichen Sommersby vier Jahre lang im Gefängnis saß und nach dessen Tod seinen Namen angenommen hat. Laurel bemerkt die Täuschung zwar, verliebt sich aber in den Fremden und wahrt den Schein. Da wird Sommersby des Mordes angeklagt, der echte und tote Sommersby wohlgemerkt. Um ihren Liebsten vor dem Galgen zu retten, schwört Laurel, daß der Mann auf der Anklagebank nicht ihr geehelichter Mann sei. Der Fast-Ersatzgatte (gespielt von Bill Pullman) unterstützt sie und steuert einen Zeugen bei, der den Beklagten als betrügerischen Schulmeister aus der entfernten Nachbarschaft identifiziert. Unser Held, mittlerweile schon an der Grenze zum Antihelden, rehabilitiert sich durch die märtyrerhafte Konsequenz seiner Lüge und macht Laurel und dem Kinopublikum in einem flammenden Plädoyer klar, was es bedeutete, wenn er plötzlich aufhörte, sich für Sommersby auszugeben: Die schwarzen und weißen Dorfbewohner, denen er vertraglich das Kaufrecht auf das von ihnen beackerte Land zugesichert hatte, wären betrogen, die gemeinsame Tochter ein Bastard, Laurel eine Todsündige und er ein Habenichts, der wegen Betruges ins Gefängnis wandern würde. Und, so fragt er sie, sei er nicht, im tiefsten Sinne des Verhältnisses, doch ihr Mann?
Sie nickt, und Gere bleibt Sommersby und wird wegen Mordes zum Tod durch den Strick verurteilt. Bad happy end: die weinende Menge, die tapfere Laurel, der Sack über seinen Kopf und ex – an melodramatischen Momenten hat Jon Amiel in seinem neuesten Film nicht gespart.
„Sommersby“ basiert auf dem französischen Film „Die Wiederkehr des Martin Guerre“ (1982) von Daniel Vigne. Im Grunde geht es, neben der Wandlung eines Betrügers zum Volksfreund, um die Geschichte einer Liebe, die sowohl ihre Existenz als auch ihr Ende der Erkenntnis verdankt, daß die Wahrheit nicht mehr ist als die Variable in einer Kosten-Nutzen- Rechnung. Das ist der reinste Pragmatismus und nicht der Stoff, aus dem wahre Hollywoodträume gemacht sind. Er müßte, im Gegenteil, zügig erzählt werden, aberwitzig, psychologisch spannend, vielleicht ein bißchen bitter. Aber Jon Amiel hat anderes im Sinn. Er läßt sich viel Zeit, die Handlung zu entwickeln; schwelgt in der Ausstattung seiner Südstaatenidylle (gedreht wurde im George Washington National Forest – eine Ausnahmeregelung) und läßt Philippe Rousselots Bilder schön und uferlos vor sich hinkitschen. Da ertrinkt man fast im Grün der Tabakpflanzen, da erdrückt einen das häusliche Glück der Sommersbys, da wird alles in den Superlativ getrieben, was man auch als Andeutung verstanden hatte.
Jodie Foster bleibt in all dieser Schwüle eine eher herbe Protagonistin, die ihrer Laurel letztlich etwas Lauerndes, Verhaltenes erhält und damit genau auf das hier doch relevante Verhältnis von Schein und Sein hinweist. Aber diese schauspielerische Prägnanz verschwimmt im üppigen Rahmen. Richard Gere (auch als Mitproduzent verantwortlich) spielt das Schaf, das früher mal einen Wolfspelz trug. Er macht das unaufdringlich und mit zwingendem Charme und kann jedoch auch nicht verhindern, daß Jon Amiel, der sich in „Julia und ihre Liebhaber“ doch so stil- und rhythmussicher erwiesen hat, hier in die vollen griff und dabei das Thema opulent verfehlte. „Sommersby“ will ein filmisches Epos sein, ein verschwenderisches Melodram, Erlebnis- und Gefühlskino ganz großen Stils – und plustert doch nur eine vertrackte Kurzgeschichte auf. Petra Kohse
„Sommersby“. Regie: Jon Amiel, Kamera: Philippe Rousselot. Mit Richard Gere, Jodie Foster u.a.
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