Exiliraner fürchten „Todesliste“

Nach dem Mord an einem Diplomaten in Rom verstärkt sich bei Exiliranern in der BRD die Furcht vor Attentaten/ Deutsche Behörden verheimlichen angeblich „Todesliste“ aus Teheran  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Zwei Pistolenkugeln setzten am Montag in Rom dem Leben des iranischen Oppositionellen Mohamed Hussein Naghdi ein jähes Ende. Unbekannte erschossen den früheren Botschafter der Islamischen Republik, der 1982 zu den oppositionellen „Volksmudschaheddin“ übergelaufen war. Iranische Oppositionelle vermuten, Naghdi sei das Opfer Teheraner Geheimdienstler geworden. Über 60 Exiliraner sollen seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 weltweit im Auftrag Teherans ermordet worden sein. Naghdis Name stand angeblich auf einer im Iran verfaßten „Todesliste“, die dem Bundeskriminalamt vorliegen soll. In die Bundesrepublik geflohene Iraner berichten von mehreren Attentatsversuchen in den letzten Monaten.

Bereits am 18. Januar entging der in Bochum lebende Exiliraner Dr. Mehdi Haeri nur knapp einem Mordanschlag. Der schiitische Gelehrte hat sich unter Muslimen durch seine theologisch fundierten Angriffe auf die Regierung in Teheran einen Namen gemacht. Besonders wegen seiner Kritik an Chomeinis Fatwa gegen Salman Rushdie ist er der iranischen Führung ein Dorn im Auge. Unter dem Vorwand, einen theologischen Diskurs führen zu wollen, hatte sich Tage zuvor telefonisch ein Araber bei Haeri angemeldet. Als der Mann gegen 20.00 Uhr an dessen Wohnung klingelte, wurde die Tür nicht von Haeri geöffnet, sondern von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA). In der Tasche des Besuchers entdeckten die Polizisten ein fünfzig Zentimeter langes Messer sowie eine Maschinenpistole mit aufgesetztem Schalldämpfer. Zwei Komplizen des Attentäters, die in einem Auto gewartet hatten, suchten derweil das Weite.

Haeri war bereits nach der Ermordung von vier iranischen Kurden in einer Berliner Gaststätte von der Polizei vor möglichen Attentaten gewarnt worden. Am 17.September 1992 hatten wahrscheinlich Schergen des iranischen Geheimdienstes die in dem Restaurant „Mykonos“ versammelte Führungsspitze der „Kurdischen Demokratischen Partei Irans“ (KDPI) niedergemetzelt. Mißtrauisch geworden, informierte Haeri das BKA über das geplante Treffen. Zwei Tage vor dem Termin wurde er von Polizisten nach Bonn gebracht. Dort, so berichtet Haeri, hätten ihm Beamte eine dreiseitige Liste gezeigt. Sie habe über einhundert Namen iranischer Oppositioneller enthalten, die vom iranischen Geheimdienst gejagt würden, darunter er selbst. Haeri behauptet, eine deutsche Übersetzung und ein persisches Original der Liste gesehen zu haben. Auf der deutschen Fassung hätten sich hinter den Namen handschriftlich Klassifizierungen wie „Linker“ oder „Royalist“ befunden.

Kurz nach dem Vorfall wandte sich Haeri an die „Liga zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran“ in Berlin. In einer Pressemitteilung verbreitete die Organisation seinen Bericht, der wiederum in einer Kurzform und ohne Angabe der Quelle im Stern veröffentlicht wurde. Soviel Publizität ging den Beamten des BKA zu weit. Nachdem BKAler sich mehrmals intensiv mit Haeri unterhalten haben, äußert sich dieser inzwischen nur noch zurückhaltend zu dem Mordversuch. „Ich sitze zwischen dem BKA und dem iranischen Geheimdienst“, beklagt er seine Situation. Die Bundes-Kripo bestreitet vehement die Existenz jener Namensliste, die Haeri mit eigenen Augen gesehen haben will. „Die Liste kennt im BKA kein Mensch“, ist von der BKA-Presseabteilung zu erfahren.

Diese Behauptung hinderte BKA-Beamte in den letzten Wochen nicht, auf der Liste verzeichnete Iraner vor möglichen Attentaten persönlich zu warnen. So bekam der in Berlin lebende Dr. Kambiz Rousta am 23. Februar unerwarteten Besuch vom Staatsschutz. Ein Kriminalbeamter informierte ihn über die akute Gefahr von Attentaten. Wer einen solchen Anschlag planen sollte und woher die Informationen stammten, mochte der Beamte jedoch nicht sagen. Erst auf die Frage, ob die Drahtzieher in Teheran säßen, nickte der Mann. Als Rousta nachhakte, ob sein Name vielleicht auf der von Haeri gesehenen Liste stünde, antwortete der Staatsschützer, er wisse nichts von einer „Liste“, sondern nur von „einigen Namen“. Für Rousta ist es seitdem eine klare Angelegenheit, daß „das BKA auf Druck des Auswärtigen Amtes versucht, die Liste zu leugnen“. Zum Schutz des Iraners hatte der Staatsschützer nur einen guten Rat: Er solle sich „beim Rausgehen gut umschauen“.

Zwei Tage später stand derselbe Kripo-Mann bei Mahmoud Rafi vor der Tür, einem der Vorsitzenden der „Liga zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran“. Direkt auf die obskure Liste angesprochen, gestand er laut Rafi widerwillig ein: „Sie stehen schon seit 1991 auf der Liste.“ Rafi geht nun davon aus, daß die Kripo schon länger über die Namen potentieller iranischer Opfer verfügt. Die Liga fordert von den deutschen Behörden, umgehend die Namensliste zu veröffentlichen, „auch wenn die Säulen der deutschen Außenpolitik weniger die Menschenrechte als die wirtschaftlichen Beziehungen“ seien.

Warnungen vor möglichen Anschlägen erhielten in den letzten Wochen auch in Deutschland lebende Mitglieder der „Volksmudschaheddin“. Nach Ansicht von Javad Dabiran, dem Repräsentanten der Oppositionsgruppe in Deutschland, ist die „Todesliste“ mindestens seit Anfang 1992 in den Händen deutscher Ermittler. Bereits im April 1992 seien auf der Liste verzeichnete Mitglieder seiner Organisation von Kriminalbeamten gewarnt worden. Dabiran, dessen Büro in Köln mehrmals von iranischen Geheimdienstlern ausgespäht wurde, wagt sich nur noch mit Personenschutz auf die Straße. Nach seiner Ansicht handelt es sich bei den Attentaten gegen Exiliraner um „Staatsterrorismus“, der von „allerhöchsten Stellen im Iran“ dirigiert werde. Die iranischen Häscher versuchten dagegen den Eindruck zu erwecken, die Morde gingen auf das Konto rivalisierender Oppositionsgruppen.

Ein solches vertuschtes Opfer iranischer Geheimdienstler könnte Freydoun Mehrdad Farokhzad geworden sein. Der Künstler war im August vergangenen Jahres in Bonn mit Messerstichen in den Mund ermordet worden. Bis zu seiner Flucht im Jahr 1981 war Farokhzad in seiner Heimat ein gefeierter Film- und Fernsehstar. Der Exilant galt als populärer Feind der schiitischen Kleriker. Kurz vor seiner Ermordung teilte er Freunden mit, er würde sich mit Vertretern Irans treffen. Über diese Kontakte hoffte Farokhzad eine Zusammenkunft mit seiner im Iran lebenden Mutter in die Wege leiten zu können. Der Künstler erzählte seinen Freunden auch, iranische Agenten hätten gedroht, ihn zu ermorden, falls er nicht aufhöre, die iranische Führung zu attackieren.

Um den Tätern auf die Spur zu kommen, ermittelt die Bonner Kripo bis heute nach eigenem Bekunden „in alle Richtungen“. Im Vordergrund scheinen aber Recherchen in der Privatsphäre des bisexuellen Künstlers gestanden zu haben. Fahndungserfolge blieben bisher aus. Ein im September als „dringend tatverdächtig“ präsentierter angeblicher Liebhaber wurde nach einer Woche wieder freigelassen. Während iranische Oppositionelle verschiedenster Couleur davon überzeugt sind, daß der Mordbefehl in Teheran gegeben wurde, versucht die iranische Botschaft Exiliranern die Schuld zuzuschieben. Zunächst äußerte Teherans Vertreter in Bonn, Hossein Moussavian, die Vermutung, die „terroristische Organisation Volksmudschaheddin“ stünde hinter dem Attentat. Im Januar behauptete dann ein Mitarbeiter der Botschaft: „Für uns steckt die weltweit agierende Oppositionsgruppe um den Sohn des Schahs dahinter.“