Engholms SPD igelt sich ein

■ SPD-Fraktion begibt sich mit zusammengebissenen Zähnen in Klausur

Berlin (taz) – „Falls ein SPD-Abgeordneter mehr weiß als Engholm, soll er sich hier zu Wort melden. Da bin ich sehr gespannt drauf.“ So wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Scharping reagierten auch die anderen Teilnehmer der zweitägigen SPD-Klausurtagung im Berliner Reichstag. „Es gibt keine Personaldebatte, da müßten wir ja bescheuert sein“ (Fraktionsgeschäftsführer Struck). Obwohl es offiziell um die Strategie der Bundestagsfraktion bis zur Wahl 94 gehen soll, macht die Verbissenheit, mit der die Abgeordneten die Zweifel an ihrem Vorsitzenden bestreiten, klar, welcher Alp auf der Fraktion lastet. Hält Engholm bis zur Wahl durch? ist die eigentlich entscheidende Frage der SPD-Strategie. Hinter verschlossenen Türen gab der Kanzlerkandidat der stillschweigenden Erwartung der Fraktion, eine plausible Erklärung zu „den Vorgängen in Kiel“ zu bekommen, nur beiläufig nach. Das „Verhalten von Nilius und Jansen“ (gemeint sind die Geldübergabe an Pfeiffer und die Zusammenarbeit zwischen Nilius und Pfeiffer vor der Wahl 87) sei „politisch dumm“ gewesen. Man dürfe jedoch jetzt nicht den Fehler machen, „die unglaubliche Affäre von 1987 mit späteren Fehlern zu vergleichen“.

Derweil versuchte SPD-Bundesgeschäftsführer Blessing, die versammelte Presse auf die Parteilinie einzuschwören: „Entscheidend ist, das Kapitel Barschel ist abgeschlossen und Engholm hat eine weiße Weste. Das Tragische ist, daß Engholm von seiner Umgebung hintergangen wurde.“ So drastisch wollte Engholm selbst das jedoch noch nicht sehen: „Ob Günter Jansen Sozialminister in Kiel bleiben kann, hängt von dem Ergebnis des Untersuchungsausschusses ab.“

Unterdessen hat sich die schleswig-holsteinische SPD-Landtagsfraktion vom Referenten in der Kieler Staatskanzlei, Klaus Nilius, offiziell distanziert. Die Fraktion sei empört darüber, daß der frühere SPD- Pressesprecher 1987 dem Barschel-Untersuchungsausschuß nicht die Wahrheit gesagt und offenbar eine Wahlkampf-Pressepolitik auf eigene Faust betrieben habe, sagte Fraktionschef Gert Börnsen. „Der Glaubwürdigkeit sozialdemokratischer Politik im Landtagswahlkampf 1987 ist damit nachträglich schwerer Schaden zugefügt worden.“ Ein Parteiordnungsverfahren gegen Nilius oder dessen Entlassung aus dem Staatsdienst zum jetzigen Zeitpunkt lehnte Börnsen aber ab. Es müsse mit kühlem Kopf vorgegangen werden. „Wir werden aber auch den Vorverurteilern aus CDU und FDP und allen Spekulanten, Intriganten und Gerüchteschmieden mit Härte entgegentreten.“

Die hatten sich gestern bereits alle zu Wort gemeldet. Via Bild forderte Blessings Gegenspieler auf CDU-Seite, Generalsekretär Hintze, Engholm solle auf seine Kanzlerkandidatur verzichten. Niemand nehme ihm in der Kieler Affäre noch ab, „daß er von den Machenschaften“ seines Referenten Nilius „keine Ahnung hatte“. Engholm trage die politische Verantwortung dafür, daß die Wahrheit jetzt „scheibchenweise ans Licht kommt“ und die Glaubwürdigkeit der SPD von Tag zu Tag abnehme. „Er ist als Kanzlerkandidat untragbar geworden.“

Der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, Horst Eylmann (CDU), hängte sich ganz weit aus dem Fenster und behauptete, wenn Engholm CDU-Ministerpräsident wäre, hätte er längst zurücktreten müssen. Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Weng, meinte, die SPD müsse sich sehr genau überlegen, ob Engholm noch der geeignete Kanzlerkandidat sei: „Ein Mann, der sich in seinem engsten Umfeld mit Leuten umgibt, die betrügen und belügen“, sei als Kanzler nur schwer vorstellbar.

Derweil versuchte Engholm, seine Genossen im Reichstag vom Gegenteil zu überzeugen. „Wir wollen und müssen regieren“, beschwor er die Fraktion und kündigte eine Offensive der Partei im Bereich Innere Sicherheit an. JG