Jeder ist seines Nächsten Souffleuse

■ Das Theater der Generationen in Huchting hat Premiere mit „Die Menschen vom Meer“

Aaaaaarg. Röchelnd sinkt sie dahin. Die andere Kriegerin war schneller. Bürgerkrieg, Mord und Totschlag herrschen auf der Insel der Unglücklichen. Vanessa verkennt den Ernst der Situation und muß lachen. „Hey, Vanessa, nicht lachen!“ Das ist Claudius, und Claudius ist Regisseur. Er hat aber wenig Macht.

Vorletzte Probe des Stückes „Die Menschen vom Meer“ im Kulturladen Huchting. Hier läuft seit einem knappen Jahr ein „generationsübergreifendes“ Theaterprojekt mit ganz Kleinen und ganz Alten. Angestiftet wurde es von der Theaterwissenschaftlerin Ute Steineke (Ex- Regieassistentin bei der Shakespeare-Company) und dem Sozialarbeiter Claudius Joecke.

Die Idee: Sechs- bis 80-jährige erfinden und proben ein Theaterstück. Die Vorlage: ein Bilderbuch über verschiedene Gesellschaftssysteme, Lebensentwürfe und Ökokatastrophen. Ein engagiertes Stück also.

Wie geht das: mit einem Sack voll Flöhe und einem Trüppchen Damen im besten Alter (“Männer kriegen wir gar nicht“ / Ute Steineke) Theater machen?

Es gab drei Gruppen, die getrennt probten. Was gespielt wurde, entwickelte sich in Improvisationen. Die Kleinsten (6-9) machten sich ein glückliches Leben auf der Kleinen Insel. Die Größeren (9-11) plagten sich auf der Großen Insel mit der rauhen Realität von geknechteten Werftarbeitern herum. Und die Alten? Sie sind der Überbau, vertreten als „Ältestenrat“ sowohl das Establishment als auch die Weisen und Mahner.

Einen geschriebenen Text gibt es bis heute nicht, abgesehen von einigen Reden, die der Ältestenrat (in braunen Tuniken) zu Hause konzipierte. „Die Kleinen lesen's ja doch nicht durch,“ sagt Ute Steineke. Alles Improvisation. Entsprechend Bammel hat sie vor der Premiere. Immerhin 81 Jahre ist die Älteste, sie verpennt gern mal und behauptet dann, dagewesen zu sein.

Aufrechter Ökopax-Agitprop,

ganz ohne Falsch

Das Ganze ist ein RiesenSchinken geworden, „furchtbar!“ meint die Regisseurin. Aber: „Das ist der Tribut, daß jede Gruppe ihren Teil frei entwickeln konnte. Später was wegnehmen, ist sehr schwierig.“ Die Kleinen spielen, ausgiebig, die Größeren reflektieren den Bürgerkrieg auf dem Balkan und metzeln und kriechen duch Gänge und Schiffsbäuche, und die Alten klopfen ihre Sprüche von einer Empore. Die Aula des Bürger- und Sozialzentrums wird raumgreifend bespielt.

Was heute Premiere hat, ist ein Stück aus der Mottenkiste des aufrechten Ökopax-Agitprop, ganz ohne Falsch, wie man es nur von den Kleinsten und Ältesten kennt. Voller Leben, voller Geflüster hinter Vorhängen, voller Längen, voller Spaß, und jeder ist seines Nächsten Souffleuse.

Natürlich ist es wieder ein völlig neues Stück, ein Unikat der „Theaterwerkstatt der Generationen“. Erna vom Ältestenrat freut sich am meisten auf die Stelle, wenn sie sagt: „Bring mir 20 junge kräftige Männer von der Insel mit.“ Ein wenig Sorge hat sie, wenn ihr Mann das hört.

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Aufführungen am 19., 20., 21.März, 16 Uhr, Bürgerzentrum Amersfoorterstr.8