Füllige Hüllen für mutige Maße

■ Spannenlanger Hansel und nudeldicke Deern haben es im Kaufhaus schwer/ Spezialläden kleiden auch sie ein

Berlin. „Ich will, daß meine Kundinnen sich sicher, stolz und frei überall bewegen können“, sagt Eva Konrad, deren „Mutige Maße“ vor sieben Jahren eine der ersten Boutiquen speziell für Übergrößen war. Sicherlich bedarf es einigen Mutes, um ausladende Körperformen nicht nur irgendwie zu verhüllen, sondern wirklich anzuziehen. „Daß ich dick bin, sieht man ohnehin. Dann trage ich doch schöne Stoffe, farbige Muster und eine große Pelzkapuze zum prachtvollen Webnerz.“ Dicke Frauen blieben allerdings vor ihrem Schaufenster genausowenig stehen, wie sie das vor einer Bäckerei tun würden. „Natürlich kommt Dicksein vom Essen, Dicksein ist aber auch Schutz. Jede Frau in dieser Gesellschaft ist verstört — die einen fressen und kotzen, die anderen fressen und werden dick, die dritten fressen Tabletten“, sagt Eva Konrad. Nicht zuletzt hänge eine riesige Industrie am Schlankheitswahn.

„Formen sind wieder gefragt, damit sollte man nicht geizen“, findet Michaela Cmok von „quasimoda“. „Das hat etwas sehr Weibliches.“ Früher trug sie am liebsten schlabberige Jeans, überweite Hemden und Boots. „Aber Säcke sind eigentlich immer unvorteilhaft. Eine gegürtete Taille und eine schmale Silhouette sehen bei den meisten viel besser aus.“ Schnitte in Übergrößen müßten allerdings besser sitzen und der Figur und der Persönlichkeit mehr entsprechen als solche in normalen Größen. Normal ist übrigens Größe 44, die 75 Prozent aller Frauen in Deutschland tragen. Gerade zwei Prozent erreichen das Mannequin-Ideal: 1,80 Meter bei 57 Kilos.

In Kaufhäusern ist die Auswahl in den Größen 48 bis 52, wo bei den Damen die Übergrößen beginnen, schon sehr begrenzt. Zwar gelten nicht mehr eherne Gesetze wie weit fallender Stoff, runder Ausschnitt, Gummizug und Längsstreifen. Doch die Farben werden trister, das Material schlechter, die Schnitte biederer. In Größe 56 hängen meist nur noch ein oder zwei Blusen an der Stange. Bei Wäsche und Dessous sieht es ganz schlecht aus. „Wir haben ganz selten Größe 50, aber nur die normalen Sachen. Etwas Schönes, so wie hier“ — die Verkäuferin bei C&A weist auf spitzenverzierte Bodies und seidene Nachthemden — „gibt es nur in Größen bis 44.“

Wenn Marion F. (Name von der Red. geändert) in ein normales Kaufhaus geht, kann sie sich die Damenabteilung gleich schenken. „Ich kann höchstens in der Herrenabteilung einkaufen. Mir ist es egal, ob ich ein Sakko von rechts oder von links knöpfe.“ Einige Abhilfe schaffen Kurz- und Langgrößen. Wer vom Umfang her eine Hose in Größe 50 bräuchte, von der Statur her aber schon mit Größe 38 fast überfordert ist, sollte zu der Kurzgröße mit der halbierten Ziffer greifen: Größe 25 paßt im Bund, und man stolpert nicht über zu lange Hosenbeine. Im umgekehrten Fall, wenn der Bund paßt, die Jeans aber kurz unter dem Knie enden, hilft die doppelte Größe, also bei 50 die 100.

Bei der dunkelgrünen Hemdbluse, für die Frau F. sich interessiert, ist zwar die Taille, nicht aber der Kragen mitgewachsen. Die Verkäuferin rät wohlmeinend: „Lassen Sie den Knopf doch einfach auf!“ Bei den anprobierten Röcken hängt grundsätzlich der vordere Saum etwa zehn Zentimeter tiefer als der hintere. Ein großer Po verbraucht zunächst mehr Stoff in der Waagerechten, bevor es in die Senkrechtfalten geht. Das wird nicht einkalkuliert, wenn man die Schnitte gleichmäßig verbreitert.

„Die Figuren von dicken Frauen unterschieden sich viel stärker voneinander als die von dünnen“, sagt Eva-Maria Biecker, die in Schöneberg „Hülle für Fülle“ anbietet. Auf den Fotos ihrer Modenschau laufen Frauen, die vom Hals bis zum Po gleichmäßig rund sind. Andere haben bei schmaler Taille viel Busen, Po und Hüften, wieder andere tragen schwer an ihrem Bauch. Für die einen entwirft sie großzügig geschnittene Hosenanzüge, für die anderen breite Gürtel und kurze Jacken, bei den dritten lenkt sie durch hochgeschlitzte Röcke die Blicke vom Bauch auf die schönen Beine.

Auch die Langen haben es schwer bei der Kleidersuche. „Früher waren wir alle graue Mäuse“, sagt Christa Geretzki, die, selbst 1,87 m groß, sich heute die pinkfarbenen Strümpfe zum ebensolchen Pulli mit pink-grün-kariertem Blazer verkniffen hat. Ihre Stammkundinnen, für die an jedem langen Samstag bei EGU in Steglitz Kaffee und Kuchen bereitstehen, bestätigen das: „Man versuchte, unauffällig zu sein, Hüfte eingeknickt, den Kopf tief, die Schultern zusammen, den Rücken gebeugt.“

„Es gibt keine Spezialfirmen, die für Lange arbeiten“, erklärt Geretzki. Auf den Messen muß sie immer einzelne Produzenten ansprechen, ob sie bereit seien, geeignete Modelle für Lange nachzuarbeiten. Trotzdem muß die Schnittdirectrice noch viel ändern, denn wenn man zum Beispiel bei einem Blazer nur die Länge ändert, kann es passieren, daß die Taschen in Bauchhöhe sitzen. „Hier gibt es sogar Sakkos, deren Ärmel mir zu lang sind“, freut sich ein mit einer Länge von 1,94 eher zierlicher Kunde. Amüsiert betrachtet er, wie seine Fingerspitzen gerade noch aus dem grünkarierten Jackett herausschauen. „Zu groß war bei mir noch niemand“, sagt Frau Geretzki stolz. Corinna Raupach