: Warnung vor „Ratten“
■ Staatssekretär Jäger will Berufsverbot für Ex-Stasi-Mitarbeiter CDU, SPD und FDP sehen Nötigung von Verfassungsorganen
Berlin. Für den SPD-Abgeordneten Gerhard von Essern war in der gestrigen Sitzung des Verfassungsschutzausschusses die Stunde des Handelns gekommen. „Die Ratten“, so seine frisch gewonnene Erkenntnis, „gucken aus den Löchern, und sie gucken nicht nur, sondern sie drohen sogar.“ Diesen Machenschaften müsse man konsequent entgegentreten. Die animalischen Betrachtungen des SPD-Mannes galten den Aktivitäten des sogenannten Insiderkomitees, eines Zusammenschlusses ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, der vorgeblich der Aufarbeitung der Geschichte des MfS dient.
Dessen Sprecher Jörg Seidel hatte Anfang der Woche die Bereitschaft seiner Vereinigung bekundet, ihr Wissen „als aktives Element in die politische Auseinandersetzung einzubringen“. Er wollte dies zwar nicht als Drohung verstanden wissen, doch bei den etablierten Parteien sorgte die Ankündigung für helle Aufregung, hatte das Komitee doch darauf verwiesen, daß es über geheime Unterlagen über die deutsch-deutschen Beziehungen der siebziger und achtziger Jahre verfüge. Der CDU-Abgeordnete Andreas Gram und der Staatssekretär der Innenverwaltung, Armin Jäger, erblickten darin einen „klassischen Versuch der Nötigung von Verfassungsorganen“. Für den FDP-Abgeordneten Rolf-Peter Lange stellte sich nach diesem „massiven Erpressungsversuch“ gar die „Frage der Wehrhaftigkeit der Demokratie“.
So einhellig die Verurteilung, so unterschiedlich war jedoch die Ortung der staatsfeindlichen Bedrohung. Für Gram war klar, daß es „natürlich“ bundesdeutsche Politiker gebe, die erpreßbar sind, deshalb habe er „kein Interesse, daß über Stasi-Kanäle Dinge über Politiker bekanntwerden“. Jäger hingegen ging nicht davon aus, „daß sie mit dem Material Leute in Schwierigkeiten bringen“. Er befürchtete vielmehr, daß „sie mit einem Fundus von Nachrichten ausgestattet sind, die keine sind“, und damit Desinformation zum Schaden der Bundesrepublik betreiben.
Zwar lag dem Ausschuß gestern ein Bericht des VS zu „extremistischen Bestrebungen unter ehemaligen Mitarbeitern des aufgelösten MfS“ vor, doch gab der auf die Fragen der Abgeordneten keine Antwort. Vielmehr warf er selbst einige Fragen auf. Denn er war bereits im Sommer 1992 auf eine Anfrage der CDU hin erstellt worden. Die Bündnis 90/Grünen-Abgeordnete Renate Künast fühlte sich durch diese Auftragsarbeit für die CDU an frühere Praktiken des Verfassungsschutzes erinnert. Sie fand es zudem „eine Schweinerei“, daß der Bericht zu einem Zeitpunkt erstellt wurde, als das Abgeordnetenhaus noch über das neue Verfassungsschutzgesetz beriet. Erst dort wurde die Beobachtung der „fortwirkenden Strukturen“ des MfS zur Aufgabe des VS erklärt. Der stellvertretende Leiter des Landesamtes, Klaus Müller, mußte denn auch eingestehen, daß seinerzeit die „gesetzliche Grundlage für die Einleitung eines Operativvorganges fehlte“. Auch jetzt, wo diese rechtliche Möglichkeit gegeben ist, ist man erst „in die Überlegung eingetreten“, das Insiderkomitee zu beobachten. Trotz der unpräzisen Erkenntnisse, die der VS-Bericht lieferte, standen für Jäger die Konsequenzen dieser Beobachtung schon fest. Man müsse überlegen, „ob es Berufsverbote für Stasi-Mitarbeiter geben muß“. Er wolle auf jeden Fall einen „Ausschluß von Stasi-Mitarbeitern aus Beschäftigungsverhältnissen in sicherheitsempfindlichen Bereichen“. Dieter Rulff
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