Die Mimik der Weichlinge Von Michaela Schießl

Noch ist unerforscht, ob das Verhalten sozial oder hormonell bedingt ist. Fest steht nur, daß es ab dem dreißigsten Geburtstag eintritt. Die Befallenen bekommen einen plüschigen Blick und treiben sich verdächtig oft in der Nähe edler Möbelgeschäfte herum. Erwischt man sie vor den Schaufenstern, schwallen sie errötend von einer völlig abgefahrenen Lampe aus Titan und Stahl, die so unglaublich gut in die WG- Küche paßt, wegen des nüchternen Werkstattcharakters. In Wahrheit jedoch treibt sie die große Sehnsucht der Dreißigjährigen: endlich ein Sofa besitzen. Besser noch: eine ganze Sitzgarnitur. Spießerscheiß? Egal. Mit dreißig steht man drüber. Nur sitzen tut man unbequem. Ein Sofa muß her. Wer acht Stunden malocht am Tag, fünf Tage pro Woche, hat ein Recht auf ein Sofa. Ein Sofa ist das Leben nach der Arbeit. Drin versinken, sich einkuscheln, zusammenrollen wie eine Katze, schnurren, ein Glas Wein und an die Glotze. Ein Sofa. Seufz. Doch Sofas sind teuer. Die günstige Ikea-Nummer fällt flach für Dreißigjährige. Zu schlapp sind die Bauchmuskeln, um sich wieder und wieder aus den auseinanderdriftenden Polstern auszugraben. Zu lächerlich, wenn netter Besuch in den Schaumstoffschluchten versinkt. Zu schmerzhaft für die lädierten Bandscheiben. Nein, der Elch scheidet aus. So schleicht der Dreißiger weiter sehnsuchtsvoll durch Sofaabteilungen, sitzt Probe auf Leder und Stoff und träumt vom Eigentum. Erst der Blick auf seinen Kontoauszug holt ihn brutal zurück. Er geht. Und tröstet sich. Denn in Wahrheit ist ein Sofa ja doch ziemlich spießig. Außer, man bekommt es geschenkt. Geschenkt! Völlig unerwartet stand er vor der Tür, mein bester Freund aus Hamburg, und hatte sie dabei: die kleine Braune mit den vielen Lachfalten. „Du brauchst ein Sofa“, sagte er und stellte die Garnitur ins Wohnzimmer. Da stand sie nun und strahlte mich an. Doch wer kennt sich schon aus mit der Mimik der Weichlinge? Was ich als herzliches Lächeln interpretierte, war Hohn. „Nimm mich“, schmeichelte sie, „und verzweifle.“ Ich nahm sie – und verzweifelte. Seit zwei Wochen lauert sie mir auf, Abend für Abend, wenn ich todmüde von der Arbeit komme. „Stell mich um“, sagt sie. Erschöpft packe ich sie am Ohr, zerre sie unters Fenster, vor den Tisch, an die Wand. Doch kaum steht der Dreier günstig, ist die Wirkung der Kuschelecke dahin. Und umgekehrt. Und immer wieder und niemals anders. Schon ist der neue Teppich voller Schleifspuren. Es geht einfach nicht. Erst gestern nacht, gegen zwei Uhr, kam mir die Idee. Der Balkon! Runter mit dem Monster, weg damit, frei sein, schlafen dürfen. Mordlüstern packte ich sie am Ohr, warf sie Richtung Balkon, trat die Kuschelecke an die Wand. Jetzt nur noch die Tür auf und – ich drehte mich um. Da stand sie, perfekt plaziert, in all ihrer Schönheit, sich harmonisch ins Gesamtambiente einpassend. Sie lächelte so unschuldig, als ob sie immer schon da gestanden hätte, am einzig denkbaren Platz in der Wohnung. Ich warf die Meuchelgedanken den Balkon herunter und rollte mich in der Plüschecke zusammen. Gegenüber grinst der Dreier. Und ich bin müde, so müde.