Neujahrsfest

Morgen beginnt der Frühling. Für Hunderttausende iranische, afghanische, kurdische, tadschikische Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland fängt mit diesem Wechsel der Jahreszeit ein neues Jahr an. Und so wie in diesen Tagen die Natur neu erwacht, der alte, graue Winter der Jugend und dem Licht des Frühlings entweicht, das Eis schmilzt und sich als fließendes Wasser durch Berge und Täler schmiegt und Bäume und Pflanzen grüne und bunte Kleider tragen, so sollen auch die Menschen ihr Leben neu gestalten.

Die Häuser werden gründlich geputzt. Die, die es sich leisten können, tragen neue Kleider und Schuhe. Auch neue Geldscheine, die man sich gegenseitig schenkt, sollen Reinigung und Erneuerung symbolisieren. Freunde und Bekannte besuchen sich, um bestehende Konflikte beizulegen. Das Böse, das sich im alten Jahr eingenistet hat, soll durch das Gute vertrieben werden. Noruz, wörtlich: der neue Tag, ist ein uraltes Fest, das seit 2.700 Jahren im Nahen und Mittleren Osten gefeiert wird. Es ist erstaunlich, wie dieses Fest all die historischen Ereignisse überdauert hat und nach wie vor unter den Festen die größte Popularität genießt.

Der Jahreswechsel, den das Noruzfest einleitet, richtet sich nach dem Sternenbild, so daß der genaue Zeitpunkt sich jedes Jahr ändert. In diesem Jahr findet er am 20.März, genau um 15.40.50 Uhr MEZ statt.

Das Noruzfest, das 13 Tage andauert und bereits am letzten Mittwoch vor Jahresbeginn, ähnlich wie an Silvester, durch Knallen von Feuerwerkskörpern angekündigt wird, bedarf wie jedes nationale Fest einer besonderen Stimmung, die – wie soll es auch anders sein – uns hier in Deutschland gänzlich fehlt.

Was würden zum Beispiel unsere Nachbarn sagen, wenn wir, dem Brauch gemäß, am letzten Mittwoch vor dem Neuen Jahr ein Feuerwerk veranstalten, auf den Straßen über die lodernden Flammen von sieben Reisighaufen springen und dabei den Spruch sagen würden: „Meine Blässe gehöre dir, deine Röte gehöre mir“?

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Vermutlich würde man uns für Geistesgestörte halten, und wir hätten sofort die Polizei am Hals. Nein, im Gegensatz zu den Europäern, die ihr Silvester bei uns wie in ihrer Heimat feiern können, müssen wir hier in Deutschland auf die Pflege unserer Tradition weitgehendst verzichten.

Denn während Silvester bei uns allgemein bekannt ist und Tage zuvor in den Medien angekündigt wird und die Staatsoberhäupter, Parlamentspräsidenten und Regierungschefs öffentlich ihre Glückwünsche an die Minderheiten verkünden – selbst Chomeini schloß sich diesem Brauch an –, wird das Noruzfest in Deutschland nahezu gänzlich ignoriert.

Feste gehören zum Bestandteil von Kulturen. Wie schön wäre es, wenn wir morgen durch die Medien ein Zeichen der Akzeptanz unserer Kultur und Tradition vernehmen könnten. Ich jedenfalls wünsche allen, die den Noruz feiern, ein gutes und glückliches neues Jahr.Sonia Seddighi,

iranische Ärztin