"Boris Jelzin ist optimistisch"

■ Berater des russischen Präsidenten befürworten Präsidialherrschaft / Dazu habe Jelzin das moralische und verfassungsmäßige Recht / Zuvor will Jelzin dem Parlament erneut Kompromiß-Vorschlag vorlegen

Moskau/Berlin (taz/wps) – Rußland Radikalreformer befürworten eine Präsidialherrschaft: bei einer Sitzung des Präsidialrates, die am späten Mittwoch nachmittag im Kreml stattfand, sprachen sich der frühere Ministerpräsident Jegor Gajdar, der Bürgermeister von St.Peterburg, Anatoli Sobtschak und auch der ehemalige Moskauer Bürgermeister Gawriil Popow nicht nur für eine Regierung per Dekret aus. Gleichzeitig stellten sie auch fest, daß Boris Jelzin das „moralische und auch das verfassungsmäßige Recht“ habe, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen. Und sie lieferten auch die Begründung für diese Ansicht: bereits zum drittenmal innerhalb weniger Tage warfen sie dem Volksdeputiertenkongreß den „Versuch der kommunistischen Machtübernahme“ vor. Da die Tagung des Kongresses mit dem Augustputsch des Jahres 1991 zu vergleichen sei, habe dieser sich selbst diskreditiert. Nun sei es an der Zeit, daß der Präsident „politischen Willen und Stärke“ zeige.

Wie diese „Stärke“ jedoch aussehen könnten, blieb unklar. Von der Verhängung des Ausnahmezustands, so Jelzin-Sprecher Kostikow, sei nicht die Rede gewesen. Laut Boris Gruschin, einem weiteren Mitglied des Beratergremiums, seien zwar alle Sitzungsteilnehmer für eine Auflöung des Kongresses gewesen, nur zwei wollten jedoch sofort zur Tat schreiten. Allgemein wird damit gerechnet, daß Jelzin vor einer solchen „Tat“ dem russischen Parlament noch einmal ein Kompromißangebot unterbreitet. Beschlossen wurde daher lediglich, daß der eher „sanfte“ Kurs gegen die Opposition durch einen „rigideren“ ersetzt werden soll.

Einer der wichtigsten Gegenspieler Jelzins, Parlamentspräsident Ruslan Chasbulatow, ließ sich durch diese Drohung jedoch nicht einschüchtern. Statt dessen ließ er verlauten, daß Jelzin und die westlichen Medien den augenblicklichen Machtkampf in Rußland zielbewußt übertreiben würden.

Unklar ist aber auch, ob die Forderungen des Beraterstabs die Öffentlichkeit auf die Einführung einer Präsidialherrschaft vorbereiten sollen. Möglich wäre auch, daß Jelzin den kommunistischen Abgeordneten vor allem seine Entschlossenheit demonstrieren wollte.

Laut Gruschin ist der Präsident in „optimistischer Stimmung“. Er habe verstanden, daß jetzt der Moment zum Handeln gekommen sei. Die seit dem Ende des Kongresses am vergangenen Sonntag immer wieder angekündigte Fernsehansprache werde nun endlich stattfinden.

Die Präsidialherrschaft ist die „unterste Stufe“ in einem Maßnahmenkatalog für Krisensituationen, dabei werden alle Exekutivorgane direkt dem Präsidenten unterstellt, die Parlamente vorübergehend aufgelöst. Die nächsten Schritte bestünden dann in der Verhängung des „Ausnahmezustands“ und des „Kriegsrechts“. Für alle diese Maßnahmen würde Jelzin allerdings die Zustimmung des Obersten Sowjet benötigen.

Über die mit Spannung erwartete Sitzung des russischen Sicherheitsrates, der am Mittwoch unter Vorsitz von Boris Jelzin zusammengekommen war, wurde dagegen nichts bekannt. Eine Presseerklärung, so ein Sprecher, werde nicht herausgegeben. Der Sicherheitsrat ist das höchste Organ Rußlands in Sicherheitsfragen. her