Das Tribunal als taktische Manövriermasse

■ Konferenz erarbeitet Pläne für Kriegsverbrecherprozesse in Ex-Jugoslawien/ Arbeit für den Papierkorb?/ „Debatte ist Ausdruck westlicher Schuldgefühle“

Washington (taz) – Wer dieser Tage Vorschläge für ein Tribunal gegen Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien verfaßt, der weiß, daß er möglicherweise für den Papierkorb arbeitet. Folglich wirkte es aufrichtig, aber auch ein wenig wirklichkeitsfremd, als Anfang der Woche in den Räumen des US-Senats über mögliche Anklagepunkte, Gerichtsstandorte und Strafen für Kriegsverbrecher debattiert wurde. Gleichzeitig meldeten die Agenturen erstmals vereinzelte Luftangriffe serbischer Flugzeuge auf Städte in Ostbosnien und unverminderten Artilleriebeschuß auf Sarajevo.

Die Absurdität dieser Situation brachte ausgerechnet ein serbischer Teilnehmer auf den Punkt: Srdja Popović, Mitarbeiter der Wochenzeitung Vreme, zur Zeit faktisch einziges Oppositionsblatt in Serbien, hält die Debatte um ein Kriegsverbrechertribunal in erster Linie für den Ausdruck westlicher Schuldgefühle. Solche Diskussionen, so Popović, verschleierten den Umstand, daß der Westen das zu tun versäumt hat, was ein Kriegsverbrechertribunal vielleicht überflüssig gemacht hätte: rechtzeitig gegen die serbische Aggression in Kroatien und später in Bosnien zu intervenieren. Doch die Regierung in Belgrad und der Führer der selbsternannten serbischen Republik von Bosnien-Herzegowina bestimmten weitgehend nicht nur das militärische Geschehen und den Spielraum der UNO, sondern auch den Sprachgebrauch. Er könne bis heute nicht verstehen, sagte Popović, warum der Westen den serbischen Euphemismus der „ethnischen Säuberung“ übernommen habe, anstatt diese Politik als das zu benennen, was sie ist: Völkermord. „Aber dann wäre man gezwungen gewesen, etwas dagegen zu tun.“

Das sind die Worte von jemandem, der verbittert ist, aber nicht resigniert. Der von Popović mitgegründete „Fund For Humanitarian Law“ recherchiert Namen der Opfer, Zeugen und Täter von Kriegsverbrechen, hat Untersuchungskommissionen nach Kroatien und Bosnien geschickt. Informationen, die von Nutzen und Beweiskraft sein könnten, sollte es je zu einem Tribunal kommen.

Auf Einladung der Londoner Organisation „Action For Bosnia“ und des „Center for European and Balkan Security“ hatten Journalisten, Völkerrechtler sowie Politiker aus Mazedonien, Kosovo und Bosnien unter Leitung von George Kenney über Perspektiven Bosniens und des Balkans diskutiert. Kenney war unter der Bush-Administration im US-Außenministerium leitender Beamter für die Jugoslawienpolitik, hatte jedoch aus Protest gegen die passive Haltung Washingtons im August letzten Jahres seinen Job gekündigt.

Daher war es nicht verwunderlich, daß auf der Konferenz vor allem Befürworter einer Intervention versammelt waren. Bittere Kritik am Vance-Owen-Plan wurde noch einmal von bosnischer Seite geübt, vor allem vom Mitglied der Verhandlungsdelegation, Muhammed Filipović, dessen Beitrag auch die Konflikte innerhalb des bosnischen Parlaments und der Regierung unter Präsident Izetbegović sichtbar werden ließ. Für Filipović ist die Unterzeichnung des Friedensplans im Prinzip das Todesurteil für Bosnien-Herzegowina, da es keinerlei Garantien, geschweige denn einen konkreten Zeitplan für die Implementierung des Abkommens gebe „und die Serben keinen internationalen Abkommen gehorchen.“

Die Chance, die serbische Seite durch nachhaltigen Druck zur Unterschrift unter den gesamten Vance-Owen-Vertrag zu zwingen, hat sich der Westen selbst durch die Ankündigung verbaut, Truppen zur Durchsetzung des im Vertrag vereinbarten Waffenstillstands erst dann zu entsenden, wenn alle 3 Parteien unterschrieben haben. Äußerungen von US- Verteidigungsminister Les Aspin lassen zudem darauf schließen, daß die 3 Parteien nach einer Unterzeichnung den im Vertrag festgelegten Waffenstillstand schon selber herstellen müssen. „Wenn sie den Vertrag nur aus taktischen Gründen unterzeichnen, aber eigentlich weiterkämpfen wollen“, erklärte Aspin jüngst in einem Interview, „dann wird das (für US- Bodentruppen) eine sehr viel gefährlichere Mission, bei der immer wieder Soldaten ums Leben kommen. Ich glaube nicht, daß die amerikanische Öffentlichkeit eine solche Aktion unterstützen würde.“

Vor diesem Hintergrund scheint der Waffenstillstand, vor allem aber das Kriegsverbrechertribunal in weite Ferne gerückt. Trotzdem: Auf der Konferenz machte Helmut Türk, Österreichs Botschafter in den USA und KSZE-Berichterstatter, noch einmal klar, daß es an juristischen Hürden nicht gelegen hat, falls die Massenerschießungen und Folterungen, Vertreibungen und Vergewaltigungen nie geahndet werden sollten: Einen UNO-Sicherheitsratsbeschluß für die Errichtung eines internationalen Tribunals gebe es – ebenso konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung. Die KSZE zum Beispiel schlägt einen Ad-hoc-Gerichtshof mit zwei Instanzen vor, in dem die Opfer auf Rückgabe beschlagnahmten Besitzes und auf Entschädigungsleistungen klagen können. Die Todesstrafe wäre ausgeschlossen, Haftstrafen müßten auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens verbüßt werden – allerdings unter internationaler Aufsicht. Bosnien und Kroatien hätten einer solchen Struktur im Prinzip zugestimmt, sagte Türk. Doch auf die Frage, wie der Hauptaggressor Serbien ohne militärischen Druck von außen zur Anerkennung eines solchen Tribunals gezwungen werden sollte, wußte auch er keine rechte Antwort.

Die Einrichtung eines solchen Tribunals sei in erster Linie eine Frage des politischen Willens. Doch der, so steht zu befürchten, gehört zur Manövriermasse der Verhandlungen um den Vance- Owen-Plan. Demnach würde die serbische Seite mit der Zusicherung zur Unterschrift gelockt, keine Prozesse gegen Kriegsverbrecher einzuleiten, während der bosnischen Seite die Zustimmung zum Vance-Owen-Plan unter anderem mit dem Versprechen eines internationalen Tribunals abgerungen werden soll. Andrea Böhm