UNO-Diplomat attackiert SPD

■ Vizechef der deutschen UNO-Botschaft fordert SPD auf, UNO-Kampfeinsätzen der Bundeswehr zuzustimmen

Bonn (taz) – In ungewöhnlich undiplomatischen Worten hat ein hoher deutscher Diplomat die SPD aufgefordert, deutschen Kampfeinsätzen unter UNO- Flagge zuzustimmen. Es sei „eine Verletzung des Völkerrechts“, daß die Bundesrepublik der UNO bisher keine Kampftruppen stelle, schreibt Hans-Joachim Vergau, der stellvertretende Leiter der deutschen Gesandtschaft bei der UNO in New York, in einem Memorandum, das am Dienstag SPD- Außenpolitikern und dem Auswärtigen Amt in Bonn zuging.

Vergau, der nach Bonner Angaben selbst SPD-Mitglied ist, stellt sich darin in allen Punkten hinter den Vorschlag von CDU/CSU und FDP für eine Grundgesetzänderung. Bei den Sozialdemokraten, die sich auf ihrer Klausurtagung in Berlin eigentlich erneut gegen deutsche Kampfeinsätze aussprechen wollten, sorgte das Papier bereits für beträchtliche Unruhe. Gestern war jedoch keiner der außenpolitischen Experten der Partei für eine Stellungnahme zu erreichen.

In seinem vom Auswärtigen Amt als „Privataufzeichnung“ eingestuften Memorandum erklärt Vergau die von der SPD immer noch verfochtene „Trennung von friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen“ für „weitgehend überholt“. In Bosnien-Herzegowina, Somalia und Kambodscha sowie bei „neu anstehenden Großeinsätzen in Mosambik und möglicherweise in Angola und im Sudan“ stünde die UNO an der Schwelle einer neuen Situation. Die UNO-Truppen bräuchten das Mandat, notfalls Gewalt anzuwenden und auch ohne Zustimmung aller Konfliktparteien einzugreifen. „Wer der UNO nur Soldaten anbietet, die im Notfall nicht kämpfen dürfen“, so Vergaus Schlußfolgerung, „versagt dem Generalsekretär in den dringendsten Fällen praktisch die Hilfe, auf die er angewiesen ist.“

Deutschland müsse „das reale Interesse“ am Gelingen „praktisch aller“ UNO-Einsätze in Krisengebieten haben, schreibt der Botschafter. „Dieses Interesse zu vernachlässigen ist ebenso verantwortungslos, wie die fortgesetzte Verweigerung für unser Ansehen und unseren Einfluß in der Weltorganisation zerstörerisch ist.“ Die Bundesrepublik sei aber nicht nur politisch, sondern wie alle UNO-Mitglieder auch völkerrechtlich verpflichtet, Soldaten zur Verfügung zu stellen. Dies sei nicht nur „die feste Rechtsauffassung“ von UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali, sondern die „herrschende Meinung“ in der Weltorganisation. Lediglich „in begründeten Ausnahmefällen“ könne Deutschland den Einsatz von Truppen ablehnen, „etwa weil ihre Präsenz den Konflikt aus historischen Gründen eher verschärfen würde oder weil ihre Ausrüstung für die spezielle Aufgabe ungeeignet ist“.

Der New Vorker Gesandte billigt auch die weitergehenden Absichten der Regierungskoalition für eine Grundgesetzänderung. Nach der UNO-Charta sei es durchaus zulässig, einem Drittland mit dessen Einverständnis gegen einen Angreifer zu Hilfe zu eilen. Diese sogenannte Nothilfe sei erlaubt, solange der UNO-Sicherheitsrat keine eigenen Maßnahmen beschlossen habe. Friedenserhaltende Maßnahmen ohne Gewaltanwendung könnten Deutschland allein, ebenso die NATO oder die KSZE sogar „jederzeit überall in eigener Regie und ohne Mandat seitens der UNO durchführen“. Hans-Martin Tillack