„Wir haben da einen Hinweis bekommen...“

■ In Frankfurt/O. fahnden sechs Beamte des Arbeitsamtes unermüdlich nach Schwarzar- beitern und gehen gegen illegale Unternehmerpraktiken diesseits der polnischen Grenze vor

Ganz unauffällig umrundet Klaus Heß die Baustelle in Müncheberg. So unauffällig, wie das ein beleibter Mann mit gezwirbeltem Bart und poppiger Brille in einem kleinen Dorf 40 Kilometer östlich von Berlin eben kann. Drei Ausgänge, registriert er. Kombiniere: drei mögliche Fluchtwege, über die illegale Schwarzarbeiter türmen könnten. „Detlef, du gehst zum Hinterausgang, Sie nach rechts, Sie nach links. Ich selbst suche die Bauleitung, dort treffen wir uns, bei den Containern. Ansonsten alles wie gehabt: Sachlich und schnell.“ Alle nicken verantwortungsvoll. Jeder weiß, was er zu tun hat. Und darauf ist man stolz.

Seit einem Jahr sind die sechs Beamten des Arbeitsamtes Frankfurt/Oder nahe der polnischen Grenze zuständig für die Bekämpfung illegaler Beschäftigung. Heß, der 1. Sachbearbeiter, ist schon seit Dezember 1991 hier. Als erfahrener Schwarzarbeiterjäger wurde er aus Bochum abberufen, die Abteilung aufzubauen und die Verbindungen zu Polizei, Gewerbeamt, Staatsanwaltschaft, Krankenkassen zu knüpfen. Er ist der einzige Westler im Team und hat den rheinischen Frohsinn an die Oder mitgebracht. „Bring mir doch mal die Tanzschuhe“, sagt er und meint die derben Arbeitsschutzstiefel. Es wird gespaßt in der Baracke an der Birnbaumsmühle. Denn: „Wer diesen Job macht, muß Freude daran haben“, sagt Heß. Und darf den Stift nicht um 4 Uhr fallenlassen. 148 Ermittlungsverfahren haben die Frankfurter allein seit Januar 1993 eingeleitet.

Der Bauleiterin in Müncheberg ist zum Heulen zumute, als Heß, nun bar jeglichen Humors, sein Anliegen vorträgt. Er übergibt ihr die Prüfungsanordnung. „Wir haben da einen Hinweis bekommen, daß sich auf dieser Baustelle Ausländer aufhalten.“ Fast immer arbeiten die Schwarzarbeitjäger auf Anzeige hin. Diesmal war es die Gewerkschaft Bau Steine Erden. Oft sind es auch erboste Baufirmenbesitzer, die mit lauteren Mitteln keine Aufträge mehr bekommen, weil sie die vergleichbar teuren Tariflöhne bezahlen.

„Hat die Firma Hochbau Frankfurt/Oder hier Ausländer beschäftigt?“ fragt Heß. Die junge Frau nickt. „Ja, wir haben Jugoslawen“, sagt sie. Die Tür geht auf, Heß' Mitarbeiter bringen zwei Kroaten ins enge Containerbüro. „Das sind alle“, sagt die Frau. Wenig später werden zwei weitere Kroaten gefunden. Offiziell sind sie angestellt bei der Kroatischen Baufirma HKM mit Sitz in Frankfurt/Main. Die HKM hat einen Werkvertrag mit der Hochbau Frankfurt. Zu dumm nur, daß die Bauleiterin ausgerechnet heute ihre Mappe zu Hause vergessen hat. Und der Polier der HKM ausgerechnet heute im Auto unterwegs ist. Verzweifelt hält die überrumpelte Bauleiterin immer wieder nach Verstärkung Ausschau. Heß fordert ihr den Werkvertrag mit HKM ab. Er ist seit zwei Wochen abgelaufen. „Die Verlängerung ist schon genehmigt, das Schreiben kommt morgen“, beteuert sie.

Doch selbst wenn das stimmt, birgt der Vertrag weitere Ungereimtheiten. 13 Arbeiter und ein Polier sind aufgeführt. „Wo ist der Rest?“ insistiert Heß. Die Arbeitserlaubnis der Kroaten ist an den Werkvertrag gebunden und damit an die konkrete Baustelle.

Doch die Bauleiterin ist ahnungslos. „Die anderen sind beim Spitzkrug Multicenter, einer Großbaustelle in Frankfurt.“ Heß wirft seinen Kollegen einen wissenden Blick zu. „Wer leitet die Kroaten an?“ Nächste Falle, die Bauleiterin tappt rein. „Unser Polier der Hochbau.“ Und der von HKM? „Der kommt nur ab und zu vorbei.“

Heß' Augen blinken vor Jagdlust. Bestätigen sich die Aussagen, so macht sich Hochbau einer Straftat schuldig: Der Arbeitnehmerüberlassung. Bei einem Werkvertrag nämlich müssen die Arbeiter, hier der HKM, samt anleitendem Vorarbeiter und eigenem Werkszeug auf die Fremdbaustelle kommen. Andernfalls besteht der Verdacht, daß es sich um eine Arbeiter-Verleihfirma handelt, die Ausländer, oft zu Dumpingpreisen, anbieten: Sklavenhändler.

Heß läßt die bleiche Bauleiterin ein Protokoll unterzeichnen. Die Polizei trifft ein und nimmt zwei Kroaten mit zur Personenüberprüfung. Ihre Pässe hat der HKM- Chef in Frankfurt/Main, ihre Arbeitsgenehmigung ist abgelaufen.

Nun macht der Fahnder Tempo. Ein Telefonat mit dem Staatsanwalt, die Polizei wird in Bereitschaft versetzt. Ab zur Großbaustelle Spitzkrug. Der Projektmanager hat Unterstützung zugesagt.

Tatsächlich ist der Österreicher Ernst Ludwig von der Firma „delta“ furchtbar erstaunt. Sorgenvoll vergräbt er die Hände im Seidenblouson und zieht an seiner riesigen Zigarre. „Das muß ein Irrtum sein.“ Ist der Ärmste hintergangen worden von der Firma Hochbau? „Wissen Sie, ich vertraue den jeweiligen Geschäftsführungen.“ Schließlich kann er nicht alles selbst überprüfen. Wie auch immer, Ludwigs Weste bleibt stets rein. Von den Kroaten weiß er: „Die werden Sie mir doch lassen, wenigstens bis die Plattform fertig ist, das ist so dringend, wissen Sie.“ Wenig später hat Heß vier Kroaten bei der Arbeit gefunden, die restlichen fünf sind in der Kellerbaracke. Als Heß und seine Leute eintreffen, bricht Panik aus. Geschrei, alle laufen durcheinander. „Keine Emotionen, meine Herren“, wiegelt Ludwig ab. „Das ist doch alles kein Weltuntergang.“ Die Kroaten sehen das anders. Keiner hat eine Arbeitserlaubnis für diese Baustelle. Sie wissen, sie werden abgeschoben. Als Heß die Polizei holt, vergeht Ludwig das Lachen. „Finden Sie das menschlich nicht furchtbar, die armen Arbeiter mit Handschellen abführen zu lassen?“ Menschlichkeit liegt ihm am Herzen.

Er leidet auch mit, als Heß ins Baustellenbüro der Firma Hochbau eindringt und den völlig perplexen Bauleiter Ingolf Nelke stellt. Im Stil eines Thriumphators beschlagnahmt Heß alle Akten über die HKM und bewegt Nelke zuzugeben, daß die Kroaten illegal arbeiten. Erst einige Telefonate später verweigert Nelke stocksauer die Aussage. Pampig hockt der Manager auf seinem Stuhl, während Heß ihn mit Paragraphen quält. Doch eine Strafe droht Nelke nicht. Schlimmstenfalls muß seine Firma Hochbau eine deftige Summe blechen. Wirklich arm dran ist nur der Herr Ludwig. „Wo soll ich nur die Arbeiter hernehmen“, jammert er. Das hat er nun davon, daß er aus sozialen Gründen eine Ost-Firma eingestellt hat. „Da will man helfen, und dann kommen die mit illegalen Ausländern an.“ Ludwig ist vom Leben enttäuscht. Und von den Deutschen. „Die wollen gar nicht arbeiten und mosern nur rum. Keine Arbeitsmoral, nach 40 Jahren Nichtstun. Wo sind sie, die 20 Prozent Arbeitslosen in Frankfurt?“ Bei ihm jedenfalls nicht. Wirklich unerklärlich. Michaela Schießl, Frankfurt/Oder