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Von Trinkern und Briefkästen

■ "Ich habe die Apokalypse verpaßt": Susanne Weirichs Video-Installation im Westwerk

Video-Installation im Westwerk

Der Briefträger redet über verschiedene Sorten von Hausbriefkästen, die Barfrau über Sorten von Trinkern und der Schuster über seine Leisten. Doch „Sorte“ ist nur einer von ingesamt zehn Begriffen, deren Anfangsbuchstaben durchbuchstabiert das Wort APOKALYPSE bilden. Zu allen Begriffen hat die derzeit in Berlin lebende Künstlerin Susanne Weirich von ihren zehn Gesprächspartnern persönliche Auskünfte aus deren jeweiligem Berufsleben erbeten. Die hundert Erklärungen bilden das Tonmaterial in ihrer Videoinstallation mit dem Titel „Ich habe die Apokalypse verpaßt“.

Warum hat Susanne Weirich die Apokalypse verpaßt? Weil, so sagt sie, die Befragten letztlich nichts anderes erzählen, als „Problemlösungs-Geschichten“, Anekdoten um all die Kniffe, mit denen spezifische Aufträge oder Aufgaben qua Kompetenz gemeistert worden sind. Und weil die Wiedergabe des Erlebten naturgemäß allein auf die Vergangenheit Bezug nimmt, hat die Fragerin den Zeitpunkt jener kleinen Katastrophen oder eben auch Offenbarungen verpaßt.

Die Künstlerin bündelt die strenge Parität der Beiträge – fünf Frauen, fünf Männer, zur Hälfte aus Hamburg, zur anderen aus Berlin – in sich selbst: Zu hören sind, nacheinander, die etwa einminütigen Lippenbekenntnisse der Interviewpartner. Doch zu sehen ist auf den zehn im Halbrund aufgestellten Monitoren nur ihr eigenes Gesicht, mal stumm, mal die Lippen bewegend. Ihr Bild, aufgenommen vor dem „authentischen“ Hintergrund eines Intercity-Abteils, einer Gynäkologen-Praxis oder der Wirkungsstätte von Hamburgs bedeutendem Buchhändler Stephan Samtleben, begleitet die Erklärungen.

Die Installation sei „ein Kommentar dazu, wie man etwas dokumentarisch aufnehmen kann“, sagt Susanne Weirich etwas widersprüchlich und sehr treffend. Faszinierend an ihrer Arbeit, die dem Betrachter einige Konzentration abverlangt, ist nicht nur, daß sich allein aus dem Sprachduktus und natürlich dem Inhalt der unsichtbar Erzählenden knappe bis drollige Kurzporträts zusammenfügen. Faszinierend ist auch, daß sich Susanne Weirich mit ihrem nunmehr dritten Ausstellungsprojekt unter dem Motto „Dreidimensionales Erzählen“ selbst verschiedenster Kompetenzen bedient, des Filmerischen, Bildnerischen und Erzählerischen etwa. Bei der Umsetzung halfen Robert Bramkamp (Kamera), Wolf- Ingo Römer (Schnitt & Ton) und Till Sadlowski (Aufbau). mb

Westwerk, Admiralitätsstr. 74, Di.-Fr. 19 Uhr, Sa. & So. 14 Uhr, bis 28.3.

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