Nachschlag

■ Böhmische Erfrischungen – Pavel Kohout las

Die Sitzreihen im Vortragssaal des Tschechischen Kulturzentrums waren bis auf den letzten Platz gefüllt, und die offiziellen Einführungsworte sprachen gleich Vertreter zweier Länder: in tschechisch und wienerisch akzentuiertem Deutsch hieß man Pavel Kohout willkommen. Kohout, 1968 eine der Symbolfiguren des Prager Frühlings und 1979 als Charta-77-Oppositioneller ausgebürgert, las aus seinem neuen Roman „Ich schneie“, der ein aktuelles Thema aufgreift: Erzählt wird die Geschicht einer vierzigjährigen Tschechin, deren erste Liebe vor über zwanzig Jahren nach Kanada emigrierte, dort heiratete, nach der Revolution aber zurückkehrt und als Regierungsberater arbeitet. Ihre Liebe erwacht neu – die Vergangenheit aber ebenso; ihr Freund wurde in den Akten des Geheimdienstes als Spitzel geführt, eingetragen von einem anderen Liebhaber der Frau, der nun behauptet, heimlich die Dissidenten unterstützt zu haben: Wo ist die Wahrheit?

Pavel Kohout hat eine Geschichte daraus gemacht, unterhaltsam erzählt und spannend. In ihrer Mischung aus Erotik und Ironie steht sie unverkennbar in der Tradition jener böhmischen Literatur, der sich auch Kohout zuzählt: augenzwinkernd, kosmopolitisch, human. „Mein Roman beginnt ziemlich burlesk – um so höher ist dann die Fallhöhe.“ In der anschließenden Diskussion wird Kohouts Vergnügen an der Artikulation deutlich spürbar. Ob er nie daran dachte, ähnlich wie Freund Havel ein politisches Amt zu übernehmen? „Wissen Sie was: Wenn meine Freunde stark besoffen sind, rezitieren sie mir meine Stalingedichte aus den fünfziger Jahren. Ich glaube zwar, mich gründlich geändert zu haben, aber wer einmal so stark irrte, sollte sich nicht ein zweites Mal nach vorne drängen. Überdies: Wer auch sollte dann meine schönen Romane schreiben?“

Diese Fallhöhe überraschte in der Tat: die diskrete Selbstzurücknahme des Oppositionellen gegenüber dem gespreizten Beleidigtsein der Mitläufer; Kohouts humorvolle Ehrlichkeit contra jene bierernste Unredlichkeit von Deutschlands Gallions-Kassandra, die 1968 im ND die Niederschlagung des Prager Frühlings feierte, später darüber nie ein Wort verlor, 1993 aber die Chuzpe hatte, sich in den USA mit den jüdischen Emigranten der Nazizeit zu vergleichen. Angesichts solch konträrer Haltungen deutscher und tschechischer Intellektueller kommt man schon ins Grübeln. Oder ins Lesen. Pavel Kohouts Bücher lohnen es. Marko Martin