Schöner wohnen ganz ohne Autos

■ Arbeitsgemeinschaft schlägt fünfzehn Standorte für autofreies Wohnen in der Stadt und am Stadtrand vor/ Im Mietvertrag muß eine Autoenthaltungsklausel festgelegt sein

Ohne Zweifel: Dem Mangel an Wohnungen steht in Berlin ein Überfluß an Blechkisten gegenüber. Während manch Erstsemester sich nachts auf den Rücksitz des elterlichen VW-Polos bettet, gehen andere in die Offensive: Statt Autos sollen sich künftig Luft, Licht, Sonne und vor allem Grün vor der eigenen Haustür stauen. Nicht wohnen im, sondern wohnen ohne Auto.

Nachdem in Bremen vor einem Jahr mit der Planung für ein autofreies Neubaugebiet begonnen wurde, hat die Idee auch in Berlin Resonanz gefunden. „Das Interesse ist groß“, sagt Joachim Falkenhagen von der Arbeitsgemeinschaft Wohnen und Arbeiten ohne Auto, die das Projekt in Berlin koordiniert und gegenüber Verwaltungen und Investoren vertritt. Seitdem das Anliegen der AG über eine Veranstaltung mit den Grünen und die Verteilung von Fragebögen für InteressentInnen bekannt gemacht wurde, hätten sich, so Falkenhagen, bereits über 500 Haushalte gemeldet. Bemerkenswert ist dies schon deshalb, weil Wohnen „ohne“ Auto eben nicht heißt, den fahrbahren Untersatz einer eigens angelegten Massenparkplatzhaltung anheimzugeben. Vielmehr muß jeder, der in einer solchen Siedlung leben möchte, sich verpflichten, fortan abstinent zu leben. „Schließlich soll nicht nur die Siedlung, sondern das ganze Umfeld vom Autoverkehr verschont sein“, meint Falkenhagen. „Bereits heute ist gut ein Drittel aller Berliner ohne Auto“, sagt er, „unter den bisherigen InteressentInnen sind es sogar fast 80 Prozent. Fast die Hälfte davon hatte sogar noch nie ein Auto.“

Falkenhagen selbst lebt seit sieben Jahren autofrei. Ein Mehr an Lebensqualität bringe eine solch individuelle Entscheidung allerdings kaum: „Der einstige Parkplatz wird eben nicht begrünt, sondern von andern genutzt, und vor der Haustür stinkt es immer noch.“ Sein Mitstreiter Michael Penners sieht keine Möglichkeit, in existierenden Wohngebieten autofreies Wohnen einzuführen, in Neubausiedlungen sei dies allerdings ohne weiteres möglich – vorausgesetzt, es sei politisch gewollt.

Fünfzehn mögliche Standorte hat die Arbeitsgemeinschaft mittlerweile in die Diskussion gebracht: Drei davon im Innenstadtbereich (Eldenaer Straße, Heinrich-Heine-Straße und Flughafen Tempelhof), vier am Wasser, unter anderem an der Rummelsburger Bucht sowie acht am Stadtrand. „Voraussetzung ist eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel“, meint Falkenhagen. „Das muß geradezu eine Symbiose sein, schließlich ist die Straßenbahn oder die S-Bahn dann die einzige Verbindung zur Außenwelt.“

Eine „Symbiose“ erhofft sich die Areitsgemeinschaft auch mit den potentiellen Bauträgern. Der finanzielle Anreiz liegt dabei vor allem in der Einsparung von Stellplätzen. Bei einer Größenordnung von 1.000 Wohnungen, so die Rechnung, könnten hier 40 Millionen Mark gespart werden. Rechtlich ist dies, so ein Gutachten aus Bremen, durchaus möglich, vorausgesetzt allerdings, im Mietvertrag wird eine Autoenthaltungsklausel festgelegt. Nur so nämlich kann die Stellplatzpflicht in der Landesbauordnung, die immerhin für die Hälfte aller Wohnungen einen Tiefgaragen- oder sonstigen Parkplatz vorsieht, außer Kraft gesetzt werden. Kostensparend wirkt sich zudem aus, daß zur Binnenerschließung einer autofreien Siedlung lediglich Zufahrtswege für Krankenwagen oder Taxen betoniert werden müßten.

Solcherlei Innovation kann sich auch der Berliner Amtsschimmel nicht länger verschließen. So hat etwa die Stadtentwicklungsverwaltung den Entwicklungsträger für die Rummelsburger Bucht um die „Prüfung der Anwendbarkeit für einen Teilbereich“ der Bucht gebeten. Die Bezirksverordnetenversammlung Prenzlauer Berg faßte gar einen Beschluß, in dem das Bezirksamt aufgefordert wird, auf den Senat sowie die Stadtentwicklungsgesellschaft Eldenaer Straße Einfluß zu nehmen, damit auf dem Areal des ehemaligen Schlachthofes „Wohnen ohne Auto geplant und realisiert wird“. Beide Vorhaben müssen freilich in die Olympiaplanungen für diese Standorte integriert werden.

Ob und wie das autofreie Wohnen realisiert werden kann, hängt nicht zuletzt von den Plänen der Investoren ab. Noch allerdings geben sich die Bauträger, ob privat oder städtisch, zwar interessiert aber zurückhaltend. Falkenhagen hofft aber, daß die Anzahl der Interessierten die Träger und auch die Politiker schließlich überzeugen. Die Auswertung der Fragebögen wird dazu sicherlich beitragen: So können sich fast zwei Drittel der bisher Befragten den Erwerb einer Eigentumswohnung beziehungsweise den Eintritt in eine Genossenschaft oder den Bezug einer freifinanzierten Wohnung vorstellen. Und für den geplanten Standort Hüttenweg, wo eine autofreie Verdichtung der ehemals alliierten Wohnanlagen vorgesehen ist, gibt es sogar schon Interessenten aus Bonn. Uwe Rada