■ Beim Kreuz hört der Spaß aber auf:
: Jesus hatte keine Geschlechtsteile

Rastatt (taz) – Da sitzt ein in sich versunkener Jesus mit Narrenkappe und offenem Lendenschurz auf dem Querbalken seines Kreuzes und lächelt milde von den Plakaten des Rastatter Schloßtheaters, um auf die „Messias“-Komödie des Engländers Patrick Barlow hinzuweisen.

Doch nach dem Empfinden der überkonfessionellen Vereinigung „Christen für die Wahrheit“ (cft) muß dem Herrn das Lächeln kräftig vergangen sein, denn bei der Plakat-Darstellung handelt es sich nach dem Dafürhalten der christlichen Jugendwächter um nicht weniger als um Gotteslästerung, §166 Strafgesetzbuch, eine todernste Angelegenheit. Aufgeschreckt von einem wachsamen Mitglied, hatte cft-Sekretär Georg Grau aus der Organisationszentrale im oberschwäbischen Gschwend mittels einer Strafanzeige gegen das „pornographische Machwerk“ interveniert.

Um dem lästerlichen Sittenzerfall in der badischen Provinz Einhalt zu gebieten, forderte man kurzerhand „die Beschlagnahme aller Plakate und sofortiges Spielverbot der Komödie“, da „Geschlechtsrolle im Detail sichtbar.“

Das bemerkte, nachdem die Plakate bereits nahezu drei Wochen hingen, auch der örtliche Sponsor des Theaters, die Städtische Sparkasse. Der Direktor, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der CDU-Gemeinderatsfraktion, distanzierte sich sodann von den nackten Tatsachen und forderte dringlichst ein Überdecken der Blöße, pardon des roten „S“ wie Sparkasse, auf dem Plakat ein.

Derweil gingen die Aktivisten der Fundi-Christen in der Stadt umher, Unterschriften sammelnd für eine Entfernung des „Drecks“. Ganz besonders Beflissene griffen offensichtlich zur Selbsthilfe und nahmen den Narrenkappen-Jesus einfach samt Plakatständer mit. Andere ließen ihn hängen, malten ihm dafür aber eine Hose über.

Das Theater-Ensemble seinerseits wurde von dem Plakat-Wirbel völlig überrascht. Man habe nach einigen inhaltsschweren Stücken auf vielfachen Wunsch „einfach einmal etwas Unterhaltendes ohne belastenden Inhalt“ bieten wollen und dann so etwas! Waschkörbeweise Leserbriefe, mehr oder weniger bedrohliche Telefonanrufe. Eine besorgte Leserbriefschreiberin aus dem Hessischen sah bereits großes Verderben auf das Theater zukommen, zu einer öffentlichen Diskussion im Theater kam u.a. eine Mutter aus Bayern angereist, die beim Passieren eines solchen Plakats um das Heil unschuldiger Kinderseelen fürchtet. Ein aus der ehemaligen Sowjetunion stammender Christ sah die hiesige Gottesfurcht mehr im Eimer als im atheistisch geprägten Rußland, und das möge etwas heißen!

Auch der Hinweis auf die Nacktheit des Gekreuzigten als eine historisch gegebene Tatsache mochte die Schmach über die gänzliche Unanständigkeit nicht lindern. Ja, ob die Weigerung der Staatsanwaltschaft, ein Verfahren gegen die Theaterleute zu eröffnen, die Wogen glätten kann, ist fraglich. „Weder die Christusverehrung noch die Leiden Christi wurden unqualifiziert angegriffen und diffamiert“, schrieb Oberstaatsanwalt Klee den fundamentalistischen Heißsporenen ins Stammbuch. Ob diese Rehabilitation genügen wird, dem subventionierten Theater die städtischen Geldtöpfe angesichts einer konservativen, tiefschwarzen Ratsmehrheit auch weiterhin offenzuhalten, ist ebenfalls noch ungewiß.

Aber eines ist sicher: Das ansonsten recht verschlafene Rastatt hat endlich eine hitzige Debatte über die Freiheit der Kunst. Für den Maler des inkriminierten Plakats, Oded Netivi, kann der Kunst gar nichts Besseres passieren, als daß sie heftig Wirkung zeitigt. Also denn, weiter so. Dieter Balle