Der Palast des Königs

Die einstige laotische Hauptstadt Luang Prabang ist noch eine Oase sanfter Vitalität des alten Asien  ■ Von Michael Sontheimer

„Am 25. Juli gelangte ich nach Luang Prabang, einer entzückenden kleinen Stadt von ungefähr einer Quadratmeile Ausdehnung und sieben- bis achttausend Bewohnern“, notierte der französische Forschungsreisende Henri Mouhot im Jahre 1861. „Es ist ein bezauberndes Bild, das einen an die schönen Seen von Genf und Como erinnert.“ Mouhot, der Wiederentdecker der Ruinen von Angkor, war vier Monate zuvor in der siamesischen Hauptstadt Bangkok aufgebrochen und hatte eine beschwerliche Reise auf Elefanten hinter sich.

Heute setzt die zweimotorige chinesische Propellermaschine der Lao Aviation nach einem delikaten Anflug – der nicht nur über, sondern teilweise zwischen den wolkenumhüllten schroffen Bergen erfolgt – auf einer kurzen, holprigen Rollbahn auf. Der von Schlingpflanzen umrankte Tower hat keine Fensterscheiben mehr und muß schon vor vielen Jahren aufgegeben worden sein. Neben einem kleinen eingeschossigen Gebäude warten die Passagiere, die in die Hauptstadt Vientiane zurückfliegen wollen. Sie müssen sich noch gedulden, bis der Käptn an einer Bretterbude seinen geräumigen Pilotenkoffer mit Wasserbüffelhautsauce und anderen lokalen Spezialitäten gefüllt hat.

In einem 26 Jahren alten BMW überqueren wir auf einer einspurigen Brücke den „Nam Khan“- Fluß, der einen weiten Bogen macht, bevor er in den Mekong strömt. Zweigeschossige Steinhäuser mit Arkaden bestimmen das Bild der Stadt, Relikte der Grand Nation, welche die Provinz Luang Prabang Ende des vergangenen Jahrhunderts zum Protektorat erklärt hatte. Die französischen Kolonialbauten haben schwarzen Schimmel angesetzt. Arglos sind sie dem Verfall überlassen. Dazwischen finden sich schlichte Holzhäuser. Zum Schutze vor Insekten und anderem Getier sind sie auf hohen Pfosten gebaut.

Das Private ist hier öffentlich, die Menschen leben mehr vor ihren Häusern als darin. Frauen sticken oder kehren den Müll des Tages in den Rinnstein; Männer basteln an Fahrrädern oder tun scheinbar nichts; Kinder treiben mit Peitschen kleine Kreisel an oder spielen eine Art Boccia mit ihren Plastiksandalen. Hühner, Gänse und Hunde überqueren gemächlich die Hauptstraße, zwischen derem brüchigen Asphalt Gras wächst. Vor einer der buddhistischen Pagoden, deren Tor von einer steinernen Naga, einer siebenköpfigen Schlange, bewacht wird, lungern drei junge Novizen in leuchtend gelben Roben herum.

Luang Prabang beherbergt 58 Pagoden, die ältesten von ihnen stammen aus dem 9. Jahrhundert. Mit 23.000 Bewohnern ist es die drittgrößte Stadt eines Landes von der Größe der alten BRD, in dem nur 4,3 Millionen Menschen leben, das über rund 8.000 Telefonanschlüsse und nur 1.600 Kilometer asphaltierte Straße verfügt.

Der Morgen ist kühl in den Bergen. Wenn gegen 10 die ersten Sonnenstrahlen durch den Nebel dringen, leuchtet ein weißes eingeschossiges Gebäude am Ufer des Mekong auf: Ho Kham, der Goldene Palast. Eine Allee von Zuckerpalmen führt zu den weißen Marmorstufen des Eingangsportals, über dem das Wappen des einstigen Königreiches Laos prangt: drei weiße Elefantenköpfe auf rotem Grund. Lane Xang, das Reich der eine Million Elefanten, wurde im 14. Jahrhundert von einem verstoßenen Prinzen namens Fa Ngum begründet. Er mußte fliehen, weil er eine der Frauen seines Vaters verführt hatte. Im mächtigen Reich von Angkor – im heutigen Kambodscha – freite er eine Prinzessin und eroberte seine Heimat und zwei laotische Königreiche.

Er brachte nicht nur Soldaten zurück, sondern auch eine goldene, nicht ganz lebensgroße Statue Gauthama Buddhas. Der Erhabene hat ein kindlich-rundes Gesicht und ist in der ehemaligen königlichen Bibliothek zu finden. Die Statue, die ursprünglich aus Indien stammen soll, heißt Prabang und ist die Namenspatronin der Stadt.

Den Goldenen Palast, eine gelungene Kombination von laotischer Baukunst und beaux arts ließen die französischen Kolonialherren zwischen 1904 und 1909 errichten, gewissermaßen als Entschädigung für den Verlust der Souveränität. Im linken Flügel des nach Maßstäben des Orients ausgesprochen bescheidenen Bauwerkes findet sich der Empfangssaal, in dem die Gastgeschenke verschiedenster Gesandschaften in Glasvitrinen ausgestellt sind. Antike Vasen aus Japan, ein reich verziertes silbernes Teeservice aus Kambodscha, steinerne Statuetten aus Indien, ein kunstvoll verzierter Dolch aus Polen, ein mit Intarsien geschmücktes Gewehr aus der Sowjetunion. Dagegen wirkt der Teller des deutschen Arbeiter- und Bauernstaates doch etwas ärmlich.

Ein weiteres Präsent fällt aus dem Rahmen, das der Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist das Modell jener Mondlandefähre, die 1972 auch ein laotisches Fähnchen zum Erdtrabanten und wieder zurück transportierte. Auf einem Messingschild ist zu lesen: „Wir geben dies als Symbol für die Einheit menschlichen Strebens, und es trägt die Hoffnung des amerikanischen Volkes auf eine Welt voll Frieden – Richard Nixon 1973.“

Ein Zynismus, denn nicht zuletzt „Tricky Dicky“ Nixon hat es zu verantworten, daß allein auf Laos während des Zweiten Indochinakrieges – der zu Unrecht oft „Vietnamkrieg“ genannt wird – mehr Bomben abgeworfen wurden als im gesamten Zweiten Weltkrieg. Die Amerikaner sind auch nicht unschuldig an dem Schicksal des letzten Königs Sisavang Vatthana, dessen überlebensgroßes Ölporträt, gemalt von dem sowjetischen Maler Ilja Glasunow, im Empfangssaal der Königin hängt. Ernst schaut dieser Mann von stattlicher Statur drein, und ein wenig traurig, mit seinen schmalen Lippen und grauen Haaren, mit den vielen Orden auf der Brust. Bevor er 1959 die Nachfolge seines verstorbenen Vaters antrat, zögerte er lange. Er war ein frankophiler Intellektueller, der gerne Proust zitierte. Gekrönt werden wollte er erst dann, wenn der Krieg ein Ende gefunden hatte – doch den prunkvollen Krönungssaal, dessen rote Wände mit Spiegelmosaiken überzogen sind, konnte er nicht mehr nutzen.

Seine Königliche Hoheit mag geahnt haben, welches Schicksal ihn und seine Familie nach der „Befreiung“ erwarten würde. Nachdem die Kommunisten der Pathet Lao im Sommer 1975 die Macht übernommen hatten, dankte er ab, zog aus dem Goldenen Palast aus und bot der neuen Regierung seine Dienste als Berater an. Was ihm, seiner Gattin und seinem ältesten Sohn, dem Kronprinzen, widerfuhr, nachdem die Kommunisten sie 1977 zu einem „Seminar“ in den Nordosten des Landes verbracht hatten, war mehr als ein Jahrzehnt ein perfekt gehütetes Geheimnis. Vollständig gelüftet ist es bis heute nicht. Flüchtlinge wollten den König halb verhungert gesehen haben; andere, die einem Umerziehungslager entkommen konnten, berichteten, er sei bereits 1979 gestorben. Die Regierung, die vorgab, den Monarchen zu seinem eigenen Schutz in den Norden gebracht zu haben, schwieg sich beharrlich aus.

Erst im Dezember 1989, als der unlängst verstorbene Generalsekretär Kaysone Pomvihan in Frankreich seinen ersten Staatsbesuch in einem kapitalistischen Land absolvierte, kam etwas Licht in diese dunkle Angelegenheit. „Ich kann Ihnen jetzt sagen“, antwortete Kaysone, als er auf einer Pressekonferenz unerwartet auf das mysteriöse Schicksal des verschwundenen Königs angesprochen wurde, „daß der König eines natürlichen Todes gestorben ist. Er war sehr alt, und alle Menschen sind sterblich.“

Der entscheidende Grund für die Deportation des Königs war folgender: Schon kurz nach dem Sieg der Kommunisten hatten Hmong, die auch unter dem verächtlichen Begriff Meo, Wilde, bekannt sind, einen Guerillakrieg gegen die neue Regierung in Vientiane aufgenommen. Den König erwählten sie zu ihrer Symbolfigur. Viele Männer dieses kriegerischen Bergstammes hatten zuvor in der vom CIA aufgebauten secret army gegen die Pathet Lao und die Vietnamesen gekämpft. Bis heute machen sie gelegentlich die Straße zwischen Vientiane und Luang Prabang unsicher.

Noch immer ungeklärt ist das Schicksal des Kronprinzen, der seinen Vater zur Umerziehung begleiten mußte. Seine Frau, die über all die Jahre unbehelligt in Luang Prabang lebte, glaubt, daß ihr Mann noch am Leben sei, aber die Gesinnungsprüfung nicht bestanden habe. Andere sagen, die Kommunisten hätten ihn ermordet.

Eine ihrer Töchter führt zusammen mit ihrem Mann, der einer der reichsten Familien des Landes angehört, das Hotel „Villa de la Princess.“ Es ist das am geschmackvollsten eingerichtete Hotel ganz Indochinas und beherbergt interessante Gäste: zwei Deutsche, die in Peking arbeiten, aber sich jetzt in Laos niederlassen wollen, weil der Boom die chinesische Hauptstadt in eine smoggeplagte megacity verwandelt; ein Ingenieur, der in den sechziger Jahren als Entwicklungshelfer die Wasserversorgung der Stadt reparierte. Er zeigt alte Fotos mit einer prunkvollen Prozession vor dem Goldenen Palast.

Die einzigartige Mischung Luang Prabangs aus städtischer Kultur und von der Welt abgewandter Beschaulichkeit könnte bald vorbei sein. Bis zum nächsten Jahr soll die Rollbahn des Flughafens um 200 Meter verlängert werden, damit auch Jets aus Thailand die Pauschaltouristen einfliegen können. 1994 dürfte auch die Straße aus der Hauptstadt durchgehend asphaltiert und bei Vientiane die bislang erste Brücke über den Mekong nach Thailand fertiggestellt sein.

Noch ist Luang Prabang eine Oase unentwickelter Rückständigkeit. Kein Fernsehsender erreicht die Stadt; die Straße zur etwa 300 Kilometer entfernten chinesischen Grenze ist ein besserer Feldweg. Obgleich vor kurzem der erste Mercedes seinen Weg in die Stadt fand, hat Luang Prabang für moderne Großstadtbewohner geradezu etwas Unwirkliches und versetzt einen leicht in den tranceartigen Zustand der Wunschlosigkeit.

Von der Uferstraße führt eine steile, steinerne Treppe zum Mekong hinab, der geräuschlos und elegant dahinströmt. Die Sonne hat sich in eine bläßlich-rote Scheibe verwandelt, die den schwarzen Silhouetten der Berge entgegensinkt. Am anderen Ufer der „Mutter der Flüsse“, wie der Mae Kong für die Lao wörtlich heißt, sind Gärten angelegt, die in wenigen Monaten von den braunen Fluten der Regenzeit hinweggeschwemmt sein werden.

Gut zwanzig hölzerne Flußschiffe liegen am lehmigen Ufer. Tonkrüge mit Lao Lao, kräftigem Reisschnaps, werden abgeladen. Drei Hmong-Frauen in blau- schwarzen Trachten schleppen schwere Säcke die steilen Treppen zur Straße hinauf. Zwei städtisch- modern gekleidete Frauen handeln mit einem Mann, der gerade angekommen ist, um den Preis eines Schweines. Sie versuchen ihm ein Geldbündel in die Hand zu drücken, doch er schüttelt nur bedächtig den Kopf. Irgendwann werden sie sich doch einig, und die beiden Frauen verfrachten das Schwein auf eine Motorrad-Rikscha. Der Himmel verfärbt sich in ein tiefes Violett, Nebelschwaden steigen aus den dunklen glatten Wassern auf.

Auch Henri Mouhot, jener eingangs zitierte französische Forschungsreisende, der sich von Bangkok bis nach Luang Prabang durchgeschlagen hatte, zeigte sich vom Mekong tief beeindruckt. „Dieser gewaltige Strom“, notierte er in seinem Reisetagebuch, „ist breiter als der Menam bei Bangkok oder die Themse unter der London Bridge. Er fließt zwischen den hohen Bergen mit der Geschwindigkeit eines Bergbaches dahin. In der Regenzeit reißt er Bäume am sandigen Ufer aus und brandet wie ein stürmisches Meer gegen die Felsen, die etliche furchterregende Stromschnellen hervorbringen.“

Henri Mouhot, dem 35 Jahre alten Naturforscher und Ethnographen, wurde die Faszination des Mekong zum Verhängnis. Vier Wochen nach dieser Tagebucheintragung findet sich in zittriger Schrift der Satz „O Gott, erbarme dich meiner“. In einem kleinen Dorf in der Nähe von Luang Prabang raffte ihn das Fieber hin.

Visa für Laos sind in Deutschland über Müller & Partner zu bekommen, Friedrichstr. 130c, 1080 Berlin, 030/2823017; in Thailand bspw. über Western Union Travel, Sukhumvit, 78 Soi 2 Sukhumvit, 10110 Bangkok, 0066/2/255215