Vom Individuum zum Dividuum

■ Maria Mies und ihre feministische Kritik an Gen- und Reproduktionstechniken

„Wider die Industrialisierung des Lebens“, unter diesem Titel hat Maria Mies nun eine Textsammlung vorgelegt, in der sie die feministische Kritik an den Gen- und Reproduktionstechnologien bündelt. Die acht Texte verfaßte die Autorin im Laufe der achtziger Jahre für verschiedene Foren. Mies ist Mitbegründerin des internationalen feministischen Netzwerks gegen diese Technologien (FINRRAGE). Zu ihren Mitstreiterinnen gehören neben Gena Corea, Autorin von „The Mother Machine“ (MutterMaschine), Renate Klein, Autorin von „Infertility“ (Das Geschäft mit der Hoffnung) und Jalna Hanmer, Herausgeberin der internationalen Fachzeitschrift Issues in Reproductive and Genetic Engineering“, vor allem Frauen aus Ländern der „Dritten Welt“.

Mies zeichnet Verbindungslinien auf, die gewöhnlich unsichtbar bleiben: Zusammenhänge zwischen Militarismus, Patriarchat, technischer Naturbeherrschung und der Gewalt gegen Frauen, zwischen Naturzerstörung, Frauenausbeutung und der Ausbeutung fremder Völker, aber auch zwischen Liebe, Gewalt und Kapital. „Vom Individuum zum Dividuum oder: Im Supermarkt der käuflichen Körperteile“, lautet der Titel eines Aufsatzes, der erstmals 1987 in der taz veröffentlicht worden war.

Die Autorin beschreibt spezifische Kehrseiten der Umwandlung in und von Eigentumsverhältnissen. Dabei nehmen die Verwandlungen des Frauenleibs in „Organe ohne Leib“ einen besonderen Platz ein. Die verdrehte Schöpfung beginnt und endet nicht in den Laboren, wo in Abwesenheit der „Patientin“ Befunde mathematisch- technisch hergestellt und geschrieben werden, sondern setzt sich im sogenannten „Alltagsbewußtsein“ von Frauen fort.

Gen- und Reproduktionstechnologien sind längst nicht mehr nur Sache der Techniker und Industriellen. Die Arbeiten von Maria Mies zielen auf die Analyse des Bewußtseins von Arbeitern und Arbeiterinnen ab, wobei sie zu dem Schluß kommt, daß sie unter dem Diktat der „Argumente“ ihrer Brotherren stehen. Und sie analysiert Glitzerworte, wie „reproduktive Rechte“, „Ethik“, „Selbstbestimmung“. Sie untersucht die Argumentationslinien derjenigen, die genetische Tests, In-vitro-Fertilisierungs-, Refertilisierungs- oder Sterilisierungstechniken, Leihmütter angeboten oder benutzt haben.

Dabei geht sie von einer Überschätzung der Differenzen zwischen direkter und indirekter Gewalt (Marktmacht) aus. Am Beispiel der Frage nach Emanzipation, Selbstbestimmung und der Wahlfreiheit zwischen verschiedenen reproduktiven Alternativen zeigt Mies auf, daß die Grenzen fließend werden. Denn Frauen finden sich vor Entscheidungen gestellt, die Handlungsfreiräume voraussetzen, die sie gar nicht haben. Dies gilt in besonderer Weise für Frauen in der „Dritten Welt“. Biotechnologie wird hier zu einer Importware, die nicht nützt, sondern drastisch zur Gefährdung der Subsistenzproduktion und damit der Ernährung beiträgt. Hungersnöte und Bevölkerungspolitik, die vor allem Frauen und Kinder existenziell treffen, werden von Mies mit großer Detailkenntnis der politischen Ökonomie gedeutet.

Die „Industrialisierung des Lebens“ wird demnach gekennzeichnet durch die Expansion der Biotechnologie, die Patentierung und Kommerzialisierung genetisch manipulierter, pflanzlicher und tierischer Organismen, durch den Versuch, ein menschliches Gen aus den Eierstöcken einer schwangeren Frau patentieren zu lassen, den Organhandel staatlich unterstützt auszuweiten, und nicht zuletzt dadurch, die Beschaffung von menschlichen „Rohstoffen“ oder „Ersatzteilen“ aus Leichen zu erlauben – es sei denn, die „Eigentümer“ hätten das Gegenteil zu Lebzeiten schon verfügt.

Darüber hinaus verschafft Mies einen Einblick in neuere Tendenzen der Gentechnologie und Reproduktionsmedizin auf dem Gebiet von Gewinnung, Konservierung, Handel, technischem Transfer und der Vernichtung von Körpern und Körperteilen. Aufgezeigt wird die historische Entwicklung, angefangen beim Verkauf von Muskelarbeit und geistiger Arbeit, über die Vermietung des Körpers (Leihmutterschaft) bis hin zum Handel mit Körperteilen und zur Transplantationsmedizin. Parallel dazu vollzieht die Rechtsentwicklung die Auflösung des bürgerlichen Subjekts und der bürgerlichen Familie durch gen- und reproduktionstechnologischen Rationalisierungsdruck nach. Merkwürdigerweise wird die Individuation (Freiheitsrechte) zu einer Zeit hervorgehoben, wo sich das bürgerliche Individuum sichtbar auflöst und als Dividuum – aufgeteilt in Bauch, Kopf, Herz oder Niere – durch und durch zur standardisierten Massenware wird.

Die „Industrialisierung des Lebens“ beginnt für Mies jedoch nicht erst mit der Unterwerfung von Menschen unter die Forschung, also mit Menschenversuchen. Damit dieser Prozeß möglichst reibungslos ablaufen kann, soll auch schon der kritische Diskurs, der vor der Vermarktung und ihrer gewalttätigen Umsetzung beginnt, ersetzt werden durch die Reduktion auf bloße Fragen der Technikfolgenabschätzung und auf Ethikkommissionen. Heidrun Kaupen-Haas

Maria Mies: „Wider die Industrialisierung des Lebens“. Eine feministische Kritik der Gen- und Reproduktionstechnik. Centaurus- Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1992, 139 Seiten, 24,80 DM.

Die Rezensentin ist Professorin am Institut für Medizin-Soziologie an der Universität Hamburg