: Russische Minderheiten im Blick
■ Menschenrechtskommissar für Ostseeanrainerstaaten beschlossen
Vilnius (taz) – Die drei kleinen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben auf dem dieswöchigen Außenministertreffen der Ostseeanrainerstaaten erneut eine „diplomatische“ Schlappe einstecken müssen: Auf russisches Drängen hin wurde ein Hochkommissar für Menschenrechte und Minderheiten eingesetzt. Diese Forderung war direkt gegen Estland und Lettland gerichtet, wo der Anteil der russischsprechenden Bevölkerung sehr groß ist und wo, so wird in Moskau von offizieller Seite behauptet, die Menschenrechte der russischen Minderheit verletzt werden.
Diese Anschuldigungen sind in den vergangenen Monaten zum das Leitmotiv der russischen Außenpolitik im Baltikum geworden. Allerdings sind sie nicht mit konkreten Beweisen verbunden. Die baltischen Staaten wehren sich verzweifelt – sie fürchten, nicht in den Europarat in Straßburg aufgenommen zu werden.
„Es handelt sich um reine Propaganda, um postimperialistische Außenpolitik“, meint der Sprecher des estnischen Außenministeriums, Reitelman. „In den letzten sechs Monaten haben wir bereits zwölf Delegationen empfangen, die der Frage der Menschenrechte nachgegangen sind, und wir haben tausendmal erklärt, daß es für die russischsprechende Bevölkerung bei uns keine Probleme gibt“, seufzt er.
Im Baltikum hält man eine erneute Untersuchung für überflüssig. In Estland, wo 61 Prozent der Einwohner gebürtige Esten sind, kann dem neuen Einbürgerungsgesetz zufolge jeder Einwohner die Staatsbürgerschaft beantragen, wenn er mindestens drei Jahre in Estland gelebt hat und die Sprache beherrscht. Doch nur wenige der eingewanderten Russen sprechen Estnisch. Esten und „Nicht- Esten“, wie man die Ausländer hier nennt, leben geographisch getrennt voneinander.
Eine sechsmonatige KSZE- Mission für „Dialog und besseres Verständnis zwischen den ethnischen Minderheiten“ hat gerade ihre Arbeiten in Tallinn und den nordöstlichen Industriestädten Narva und Kohtla Järve aufgenommen, wo die Mehrheit der russischen Minderheit lebt.
In Lettland, wo rund 48 Prozent der Bevölkerung „Nicht-Letten“ sind, zeigen sich die interethnischen Spannungen zwischen den lettischen Bürgern und den sogenannten „illegal eingewanderten Okkupanten“ deutlicher. Bei den kommenden Wahlen im Juni dürfen nur die Bürger der Vorkriegsrepublik und deren direkte Nachfahren wählen, was einen großen Teil der unter der sowjetischen Regime eingewanderten Russen vom Wahlrecht ausschließt.
Die Entscheidung über einen Menschenrechtskommissar wird in Riga mit einem Achselzucken hingenommen. „Der Westen sucht Konzessionen gegenüber der innenpolitischen Situation in Rußland“, meinte ein Regierungssprecher. In Lettland und Estland weist man außerdem darauf hin, daß es „Monate, wenn nicht Jahre dauern werde, bis der Kommissar seine Arbeit aufnimmt“.
Im südlichen Litauen, wo der Großteil der russischen und polnischen Minderheit automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen hat, ist man eher über die kürzlichen Äußerungen des russischen Außenministers im angrenzenden Kaliningrad-Gebiet (Königsberg) beunruhigt. Andrej Kosyrew hatte vor Matrosen eine „starke russische Militärpräsenz im Baltikum“ gefordert.
Die Äußerung sollte zum einen den konservativen Kräfte im Kongreß bedeuten, daß es sich um die baltischen Staaten handele, in denen der Truppenabzug nur schleppend vorangeht. An die Adresse der Demokraten gerichtet, signalisierte sie andererseits, daß Rußland weiter seine Truppen in der Ostseeregion – also Kaliningrad und Sankt Petersburg – behalten werde. In der derzeitigen undurchschaubaren innenpolitischen Lage in Moskau muß man, so schließen die Balten, mit der Doppelzüngigkeit der russischen Außenpolitik einfach leben. Matthias Lüfkens
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