■ Ökolumne
: Kein Konsens Von Henrik Paulitz

Die Verhandlungen zwischen PolitikerInnen und VertreterInnen der Industrie um die Zukunft der Atomwirtschaft sind ihrem Wesen nach undemokratisch. Ausgewählte Interessengruppen verhandeln über ein Zukunftsthema, dessen Thematisierung die vornehmste Aufgabe unserer Volksvertreter wäre. Gefragt sind aber nicht Spezialverhandlungen, gefragt ist statt dessen eine Entscheidung der Parlamente in einem wegweisenden und konstruktiven Diskurs mit einer kritischen Öffentlichkeit.

Warum findet dieser Diskurs nicht statt? Vor allem, weil die Ziele der Industrie und der Mehrheit der Verhandelnden ganz offensichtlich im Widerspruch zum empirisch ermittelten Willen der Bevölkerung steht. Die Verhandlungen sind der Versuch, vor dem Wahljahr 1994 eine Einigung bestimmter parteipolitischer Kräfte mit

Henrik Paulitz Foto: taz

der Industrie zu erzielen. Überdeutlich wird: In den aktuellen Verhandlungen geht es gar nicht um die Suche nach einer langfristig ökologisch und ökonomisch verantwortbaren Energiepolitik.

Eine deutliche Sprache spricht schon die Besetzung der „Arbeitsgruppe Energiekonsens“, in der gesellschaftliche Gruppen zu einer Einigung finden sollen. Dort ist nicht die Gesellschaft repräsentiert, vielmehr haben die Bonner Parteien klassische Interessenvertreter eingeladen. Sechs Industrievertreter und drei Gewerkschaftsvertretern stehen drei Alibi-VertreterInnen von Umweltverbänden gegenüber, die ihren Einfluß in dieser Sache wohl überschätzen. Selbst in der von Ex-Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann vorgeschlagenen sogenannten Ueberhorst- Kommission war die gesellschaftliche Mehrheit gegen die Atomkraft besser repräsentiert.

Eines zeichnet sich schon vor den Gesprächen deutlich ab: sollte diese Arbeitsgruppe zu einem Konsens finden, dann wird dieser die weitere Atomenergienutzung auf lange Sicht beinhalten. Daß dies keinen gesellschaftlichen Konsens darstellt, liegt nach dem Vorhergesagten auf der Hand – die Gefahr, daß es den Verhandlern gelingt, ihn mit vielen Kniffen trotzdem als solchen zu verkaufen, ist beträchtlich. Zudem würde das Maß an Zugeständnissen der beteiligten Umweltverbände den Rahmen für „Ausstiegs“-Varianten definieren, die in der öffentlichen Meinungsbildung dann noch eine Chance haben.

Nicht besser sieht es in der Politikerrunde aus. Acht Regierungsmitglieder der CDU/CSU und FDP verhandeln hier mit zwei Grünen und sechs SPD-Spitzenpolitikern. Letztere sind inzwischen klar und eindeutig von dem Nürnberger Parteitagsbeschluß der SPD (Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb von 10 Jahren) abgerückt.

Die Ignoranz regierender Sozialdemokraten gegenüber Forderungen innerparteilicher Demokratie sowie die jüngsten Bekenntnisse von Gerhard Schröder (SPD) zu fossilen Großkraftwerken und den monopolistischen Energiekonzernen machen deutlich, daß die Chancen für eine grundlegende Energiewende und einen tatsächlichen Ausstieg auch in der Parteienkommission sehr gering sind. Ein atompolitisches Petersberg der nach Bonn strebenden SPD-Führung ist zu befürchten.

Die atomkritische Seite ist also in den beiden Verhandlungsrunden nicht nur quantitativ unterrepräsentiert, sondern steht auch hinsichtlich ihrer Qualität auf wackeligen Füßen. Zu viele Verhandler haben ein Interesse daran, der (Atom)-Industrie weitreichende Zugeständnisse zu machen. Es ist zu befürchten, daß uns ein jahrzehntelanger Weiterbetrieb, die Entwicklung neuer Atomreaktoren sowie eine forcierte Endlagersuche für einen konsenssicheren Entsorgungsnachweis – versüßt mit einem schnellen Abschalten der unrentabelsten Altanlagen – am Ende als Ausstieg aus der Atomenergie verkauft werden wird!

Jetzt und im Wahljahr 1994 wird die SPD sich daran messen lassen müssen, ob sie mit einer klaren Position für einen schnellen Atomausstieg in den Verhandlungen agiert und in den Wahlkampf zieht. Wird sie mit diesem Programm gewählt, kann sie dann über den Weg der Gesetzgebung unverzüglich die Energiewende vollziehen. Auf Spendenmillionen von Banken und Industrie für den Bundestagswahlkampf müßte die SPD dann allerdings verzichten.

Henrik Paulitz arbeitet in der Energiekampagne von Robin Wood