Geteilter Himmel, halbe Welt

■ Reise durch eine rein weibliche Landschaft: Nadine Ganases Choreographie 'Lover Man– auf Kampnagel

auf Kampnagel

„Und Er schuf sie, einen Mann und eine Frau.“ Soweit, so gut. Aber was danach passiert ist, hätte sich auch der liebe Gott nicht träumen lassen. Liebe, Harmonie und Fortpflanzung hatte er geplant, aber was praktiziert seine Schöpfung seit 40000 Jahren? Krieg der Geschlechter. Der liebe Gott und eigentlich niemand im Himmel versteht das so recht. Einer wollt's dann wissen: Und der Engel stieg hinab auf's gute alte Erdenrund.

Wim Wenders Himmel über Berlin hat Nadine Ganase zu ihrer zweiten Choreographie Lover Man inspiriert. Wie im Film mischt sich auch in ihrem Stück ein Engel als Beobachter unter die Menschen; wie Wenders arbeitet auch sie mit Texten von Peter Handke. Eine Halbierung ist es, die Ganases Visionen von denen Wenders' unterscheidet: waren es dort zwei Engel, ist es hier einer, waren es dort die Menschen sind es hier — die Frauen.

Drei Tänzerinnen in hellen Plisseekleidern mit roten Strümpfen tanzen auf lichter, leerer Bühne eine kraftvoll freudige Formation zu Musik Béla Bartóks. Im Hintergrund, unscheinbar, ein Mann. Noch ist er stiller Zeuge; später, während sich die Bühne langsam verdunkelt, wird er Erzähler, am Ende ist er Kommentator des Geschehens. An keiner Stelle jedoch nimmt er Einfluß, es gibt keine Berührung — die Frauen ignorieren ihn, verstrickt in ihre eigene Welt der Emotionen. „Der Mann ist Schutzengel und Verbindungsglied zwischen Bühne und Publikum. Er reist durch eine weibliche Landschaft, bleibt aber immer am Rand dieses Territoriums“, beschreibt Nadine Ganase ihren Lover Man.

Die 1961 in Trinidas-en-Tobago geborene Französin lernte in Kenya klassisches Ballett, bevor sie mit 16 Jahren einer professionellen Tanz- und Theatergruppe nach England folgte. Am prägendsten für ihre tänzerische Laufbahn erwies sich aber mit Sicherheit die Arbeit mit der Belgierin Anne Teresa De Keersmaeker, deren mittlerweile legendärer Compagnie Rosas sie sechs Jahre angehörte. Der Einfluß ist nicht zu übersehen: auch Lover Man arbeitet mit literarischen und musikalischen Fragmenten, auch diese Choreographie zeichnet sich durch stetes Spiel mit Konstanten und Varianten aus. Soli und exakte Ensemble-Formationen gleiten ineinander. Doch fehlt bei Nadine Ganase die Robustheit und Hartnäckigkeit, bisweilen barbarische Energie De Keersmaekers: Ihr Tanz ist weicher, fließender, sinnlicher.

1Runde Bewegungen, mit Vorliebe dicht am Boden getanzt, bestimmen ihn.

Das Tanzuniversum auf der Bühne ist ein abgeschlossenes: die Figuren schreien ihr haltloses Ver-

1langen nicht in die Welt hinaus, sondern tanzen innere Monologe. „Die Zeit, die wir zusammen verbrachten, hat viel Gefühlsmaterial hinterlassen“, zitiert der Engel. Und wahrlich: Material genug ist

1da. Aber wie es denn nun genau ist, das mit den Männern und den Frauen, das weiß am Ende auch niemand besser als am Anfang. Höchstens der liebe Gott. Christiane Kühl