Der Fluch des Folterers

■ Chilenische Anklage der Diktatur wurde zum Erfolgsstück / Jetzt auch in Oldenburg

„Dorfmann kann vielleicht Romane schreiben, aber dieses ist das schlechteste chilenische Stück seit Jahren.“ Was so 1990 in der chilenischen Presse runtergeputzt wurde, ist das Erfolgsstück der letzten Jahre auf den europäischen Bühnen. Mehr als 30 Theater allein im deutschsprachigen Raum spielen oder spielten „Der Tod und das Mädchen“. Und am Broadway feierte das Werk, eine veritable Anklage gegen Folter und Diktatur, mit Glenn Close, Richard Dreyfuss und Gene Hackmann Triumphe. In Oldenburg brachten Ralf Ebeling (Regie) und Ludwig Brundiers (Dramaturgie) das Erfolgsstück auf die Bühne.

Der Drei-Personen-Plot: Gerardo, Anwalt, und engagierter Streiter gegen die Militärdiktatur, wird nach der Wende in seinem Land in eine Kommission berufen, die die Verbrechen der Junta untersuchen soll. Seine Frau Paulina leidet noch immer unter den Folgen von Folter und Vergewaltigung. Sie wurde von den Militärs vor 13 Jahren entführt und mißhandelt. Eines Nachts bringt Gerardo einen Mann mit nach Hause, den Paulina als ihren Folterer zu erkennen glaubt: Seine Stimme kommt ihr bekannt vor (sehen konnte sie ihre Peiniger nie) und in seinem Wagen findet sie ein Band mit dem Schubert-Quintett „Der Tod und das Mädchen“. Dieses Stück hat der Folterer damals gespielt.

Sie setzt Roberto fest und will ihn zum Geständnis zwingen. Helmut Gloren gelingt es, diesen ebenso beredten wie undurchsichtigen Roberto bis zum Schluß zwischen Opfer und (möglichem) Täter changieren zu lassen. Gerardo, den Stefan Rehberg als steifen und guten Anzugträger einführt, verliert zunehmend die Fassung, sieht er doch seine Mission durch die Rachetat seiner Frau in Gefahr. Paulina will Gerechtigkeit für sich.

Auf der sparsamen Bühne (Jeremias H. Vondrlik) läßt Regine Hochmeister ihre Paulina schwanken zwischen mühsamer Beherrschung und abgrundtiefer Verzweiflung. Zwischen Kalkül (mit dem Geständnis des Folterers will sie vor Gericht) und Emotion. Vergewaltigt will sie ihren Vergewaltiger sehen. Einen Besenstiel soll ihm Gerardo reinschieben.

Da verliert der Gatte seine gebügelte Haltung. Mühsam Verdrängtes kommt zutage, erstmals reden Gerardo und Paulina wieder über die Geschehnisse von damals. Er beschwört sie, auf ihre Rache zu verzichten. Als er sieht, daß er keinen Erfolg hat, überredet er Roberto zu einem Geständnis. In der vorletzten Szene stehen sich Paulina und Roberto gegenüber, Paulina immer noch mit der Pistole ind der Hand.

Den Schluß des Stücks hat man in Oldenburg verändert. Nochmals sieht man Paulina. Sie sieht sich im TV ein Interview mit ihrem Mann an, der von der Arbeit der Kommission berichtet. Nach einer Weile schaltet sie aus. Legt das schubertsche Quintett auf und hört gebannt zu. Nach einigen Takten greift sie sich an den Kopf, verzweifelt rennt sie raus. Das Premierenpublikum klatschte verhalten, aber lang anhaltend. Gerd Döring