Heftige Schwierigkeiten

■ Es "entstehen neue Räume": Rene Block, eine Kapazität in Sachen Kunstvermittlung, kommentierte die Debatte um die Berliner Institutionen. Ein Interview von Werner Köhler

Wenn es um bildende Kunst geht, nicht nur in Berlin, gehört René Block zu den respektiertesten Stimmen; was nicht heißt, daß er auch immer zur rechten Zeit gefragt würde. Block hat seit Mitte der sechziger Jahre unbeirrt seinen Kurs verfolgt: In der Galerie Block zeigte er von 1964 bis 1979 Arbeiten — und Aktionen — von Joseph Beuys, Sigmar Polke, Gerhard Richter und etlichen Fluxus-Künstlern; 1973 eröffnete er seine Galerie in New York, wo er außerdem Nam June Paik und Rebecca Horn zeigte, sämtlich Künstler, die sich durchsetzten. Dort fand auch die berühmte Aktion mit Beuys und dem Coyoten statt.

Block schloß die Galerien, um sich größeren Ausstellungsprojekten zuzuwenden. Von 1982 bis 1992 war er beim daad Projektleiter für bildende Kunst, später auch für Musik. René Blocks eigene Fluxus- Sammlung wird mit großer Wahrscheinlichkeit für längere Zeit ans Statens Museum for Kunst in Kopenhagen gehen; die Sammlung Block wird ab dem 21.April unter dem Titel „Mit dem Kopf durch die Wand“ in der Kunsthalle Nürnberg gezeigt werden. In Berlin hat man weder an der Wanderausstellung noch an der dauerhaften Unterbringung der Sammlung Interesse signalisiert.

Das Gespräch mit Werner Köhler fand statt, bevor die Abwicklung der Staatlichen Kunsthalle in Berlin offiziell bekannt wurde. Block sagte dazu am vergangenen Donnerstag, Dieter Ruckhaberle hätte „vor zehn Jahren bewegt werden müssen“, die späte, eilige Versetzung sei ein Fehler. Auch für das Künstlerhaus Buch wären mit Ruckhaberles Leitung von vornherein etliche Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschlossen; die Institution, die es noch nicht gibt, biete sich zur Versetzung Ruckhaberles nicht an. uez

Werner Köhler: Es gibt derzeit Diskussionen in Berlin, verschiedene ineffektive Institutionen, wie die Kunstvereine, die Kunsthalle, die FBK zu schließen und dafür eine Art Portikus wie in Frankfurt zu errichten. Was halten Sie davon?

René Block: Überlegen kann man das schon, aber man muß es vielleicht nicht gleich in die Tat umsetzen. In Frankfurt wurden ja auch nicht Kunsthalle und Kunstverein wegen des Portikus geschlossen. Und die anderen Berliner Institutionen präsentieren sich ja auch nicht besser als die drei genannten. Das Problem sind, denke ich, nicht die Institutionen. Räume sind geduldig. Das Problem sind die Menschen, die sie leiten, die die Programme bestimmen. Ich bin über die Leistungen, die da erbracht werden, auch nicht besonders glücklich. Ich frage mich manchmal, ob die Leute begriffen haben, daß die Isolierstation Westberlin nicht mehr existiert, daß hier jetzt andere Aufgaben zu erfüllen sind als die, die schon vor fünf Jahren nicht erfüllt wurden.

Sie denken nicht, daß eine Art Berliner Portikus die Situation verbessern könnte?

Wer einen Portikus haben will, muß ihn eben machen. In Frankfurt hat doch auch niemand danach gerufen. Da wurde eines Tages ein renommierter und international erfahrener Ausstellungsmacher als Leiter der Kunsthochschule berufen, und der hat den Portikus geschaffen, als sein eigenes Sprachrohr und das der Kunstschule. Das Einmalige am Portikus ist doch nicht nur das Ausstellungsprogramm. Das Programm der daad- galerie in Berlin ist ja nicht minder interessant und progressiv, wenn es auch entsprechender Beachtung durch die Medien entbehrt. Das Einmalige am Portikus ist doch die Einbindung in den Lehrbetrieb der Akademie. Wenn man in Berlin ernsthaft an die Einrichtung eines Portikus denkt, so muß nicht nur ein neuer Ausstellungsraum gemeint sein, sondern eine neue Konzeption. Die beginnt in diesem Fall mit einem künstlerischen Leiter für die Kunsthochschule. Und dann geht das weiter.

Nehmen wir doch einmal das Künstlerhaus Bethanien. Da wurde in den siebziger Jahren eine interessante Konzeption entwickelt, die etwas später in New York von den PSI-Gründern kopiert worden ist. Aber was haben die dort aus dieser Idee gemacht, und wie ist sie hier verspielt worden. In Berlin gibt es, was auch immer geschieht, feste Etats. In New York funktioniert das Haus durch Sponsoren. Wenn nichts passiert, gibt es keine Unterstützung. Aber wir wollen nicht einzelne Berliner Kultur-Schlafstellen durchgehen – oder sollen wir mit der Akademie der Künste fortfahren?

Ich denke, was dort versäumt wurde, ist bekannt. Wie sehen Sie denn die augenblickliche Situation der Kunst in Berlin? Berlin liegt weit ab vom großen Kunstgeschehen. Es kommen nur wenige große Ausstellungen nach Berlin.

Ebensowenig wie die Biennale aus Venedig oder die documenta aus Kassel Kunstzentren machen, können dies große Wanderausstellungen für Berlin tun. Dennoch können durch Großausstellungen Akzente gesetzt werden, wie dies ja auch mit den „Zeitgeist“- oder „Metropolis“-Projekten durchaus geschehen ist. Grundsätzlich bin ich aber kein Freund von Großausstellungen, sondern bevorzuge das kleine Kunstgeschehen. Aus der Häufung von vielem kleinen Kunstgeschehen könnte ja einmal großes Kunstgeschehen entstehen. Und da sieht es in Berlin, lokal gesehen, seit drei Jahren besser aus als je zuvor. Es wächst eine neue Generation von Künstlern und Kunstvermittlern heran, die viel Kraft, Enthusiasmus und auch neue Ideen mitbringt.

Überall entstehen neue Räume. Und es wird wieder diskutiert. Hier wird privat ein wenig von dem geleistet, was die Institutionen tun sollten. Wichtig wäre jetzt aber die Auseinandersetzung mit dem internationalen Kunstgeschehen. Im Bereich bildender Kunst beschäftigt sich Berlin nach wie vor zuviel mit sich selbst. Ausnahme ist hier nur das Berliner Künstlerprogramm des daad.

In Berlin wird fatalerweise immer an diese starke Realismustradition angeknüpft. In den sechziger Jahren gab es den „Kritischen Realismus“. Jetzt gibt es diese merkwürdige „Realismus-Triennale“ im Gropius-Bau.

Berlin hat traditionell einen Hang zu schlechter Malerei. Vom malerischen Unvermögen wird durch sicher gutgemeinte sozialkritische Themen abgelenkt. Das ist nicht ungeschickt, denn wer möchte beim Anblick geknebelter Kreaturen über malerische Qualitäten diskutieren? Ich habe nie verstanden, was dies alles mit Realismus zu tun haben soll. Realität aber ist, daß die Eröffnung der Ausstellung unter großer Beteiligung der Bevölkerung stattfand.

Finden Sie, daß es seine Berechtigung hat, in der Berlinischen Galerie diese Ausstellung in dieser Größe zu zeigen?

Ja natürlich. Wenn aus diesem Ereignis eine Realismus-Triennale wird, finde ich das ganz in Ordnung. Zumindest ehrlicher als andere Großprojekte, denn das ist die Kunst, die hier Tradition hat, von Zille bis Hofer.

Sie haben in Berlin vor allem in den sechziger und siebziger Jahren mit Beuys, Vostell, Paik, Polke, Richter und den ganzen Fluxus- Performances sehr gute Ausstellungen gemacht, die aus der Kunstgeschichte nicht mehr wegzudenken sind. Sie haben damals einen anderen Realismusbegriff eingeführt. Damals gab es vielleicht noch die Chance, eine andere Tradition in Berlin zu etablieren. Das ist aber nicht geschehen und nicht in dem Maß weitergeführt worden, wie es hätte sein können.

Unser Realismusbegriff basierte auf Duchamps Readymade- Theorie. Das war ein ganz anderer Ansatz, der seine Fortsetzung im französischen Nouveau Realisme und der angloamerikanischen Pop- Art gefunden hat wie auch in den Fluxus-Aktivitäten. Mit Berlin hat das aber nie etwas zu tun gehabt. Die Künstler und ich kamen aus dem Westen. Uns hat Westberlin als politischer Ort fasziniert. Die Leute, die sich inzwischen auf diese Aktivitäten berufen, hatten damit nichts zu tun. Beuys wurde noch 1977 von der Berliner Presse verhöhnt. Ich habe da ein interessantes Archiv, das vielleicht irgendwann einmal aufgearbeitet werden kann. Dennoch haben die Künstler, die hier aufgetreten sind, Spuren hinterlassen. Ob deutlichere als die Dadaisten, wird die Zukunft zeigen. Als ich 1963 nach Berlin zog, war für mich das Fehlen dieser Dada-Spuren eine der größten Enttäuschungen. Weder in privaten noch in öffentlichen Sammlungen stieß ich auf Dada oder andere Reste der sogenannten goldenen Berlin- Zeit. Damals wurde ein Kurt Schwitters aus Berlin verjagt. Darin sehe ich, wenn ich an die sechziger und siebziger Jahre denke, eine Berliner Tradition.

Ist es für Sie mit Ihrer Erfahrung eigentlich noch interessant, sich mit der zeitgenössischen Kunst auseinanderzusetzen?

Da ich mich ja nie nur als Liebhaber, sondern immer auch professionell mit zeitgenössischer Kunst auseinandergesetzt habe, gibt es hierzu keine Alternative. Natürlich gibt es Höhen und geringere Höhen im Verhältnis zu dem jeweils Neuesten, und mit der sogenannten heftigen Malerei hatte ich oft heftige Schwierigkeiten. Aber interessant war diese Auseinandersetzung allemal.

Für mich war spannend zu sehen, wie – wiederum als Reaktion auf die Malereiwelle und deren kommerzielle Auswüchse – die nächste Künstlergeneration wieder da anknüpfte, wo wir standen, als ich 1979 meine Galerie schloß. Objektkunst und konzeptionelle Kunst wurden neu bestimmt. Duchamp und Fluxus waren plötzlich historische Fixpunkte. Aus dieser Beobachtung heraus bestimmte ich das Thema der Sydney-Biennale 1990: „The Readymade Boomerang“. Die Realisierung eines solchen Projektes bedingt zwangsläufig eine intensive Auseinandersetzung mit den neuesten künstlerischen Ideen, und dies weltweit. Diese Biennale war auch ein Versuch, weg von der Großausstellung und zu einer internationalen Ideenwerkstatt zu kommen. Der kommunikative Aspekt war ebenso wichtig wie der künstlerische. Im Gegensatz dazu fehlte der repräsentative Faktor, unter dem die Berliner Großveranstaltungen stehen, vollkommen. Für kulturelle Repräsentationen sind die Millionen leicht da. Für die tägliche Werkstattarbeit fehlt es am Nötigsten.

Solche Werkstattarbeit hat für Berlin ja vor allem der daad geleistet.

Gerade das Berliner Künstlerprogramm ist – vielleicht muß man schon bald sagen: war – ein hervorragendes Beispiel für beständige internationale Kulturarbeit. Eine Einrichtung, um die Berlin von der ganzen Welt beneidet wird und die hier in beinahe skandalöser Weise behandelt wurde und wird. Ich meine nicht die akutellen Mittelkürzungen durch Bonn, die könnte leicht in Berlin durch etwas Phantasie und einen Lottoantrag ausgeglichen werden. Was ich meine, ist die fehlende Identifizierung der Stadt mit dem künstlerischen Potential, das durch das Programm seit mehr als 25 Jahren zur Verfügung stand.

Nehmen wir noch einmal die Hochschule der Künste: Die meisten der eingeladenen Künstler hätten sich mit Freuden als Gastdozenten für kurze Zeit zur Verfügung gestellt. Die Studenten hätten jährlich zu mehreren ausländischen und renommierten Künstlern Kontakt haben können, aber nichts geschah – getreu der Devise: nur keine Unruhe. Auch in den öffentlichen Sammlungen der Stadt hat das Programm keinen Niederschlag gefunden, von wenigen Künstlern abgesehen. Und gerade diese wenigen Ausnahmen verdeutlichen jetzt das Versäumte. Es gibt keine systematische Dokumentation. Das wäre doch einfach das Simpelste und Logischste gewesen, auch alle diese Künstler zu sammeln. In 25 Jahren wird sich die nächste Generation von Museumsdirektoren an den Kopf fassen ob dieser Blindheit.

Kommen wir zu Ihrer eigenen Sammlung, die nach Kopenhagen gegangen ist. Sie wandert jetzt durch Skandinavien. Wieso ist die Sammlung eigentlich nicht in Berlin geblieben? Gab es hier keine Institution, die sie hätte aufnehmen können?

Da müßten Sie eigentlich die entsprechenden Institutionen fragen, warum das so ist. Aber ich denke, man hat das einfach nicht gewußt. Nun bin ich ja auch nicht Mitglied im Sammlerclub der Nationalgalerie. Zwar sind hin und wieder einmal Stücke aus der Sammlung ausgeliehen worden, aber es war doch eher eine stille Sammelleidenschaft. Sehen wir die Dinge einfach mal positiv. Freuen wir uns doch, daß Frankfurt seinen Portikus hat, und freuen wir uns, daß diese Sammlung vielleicht in Kopenhagen einen schönen Platz findet. Einige Teile werden übrigens in Deutschland bleiben. Die Hamburger Kunsthalle plant die Einrichtung eines Arthur-Köpcke- Raumes, wo ich gerne helfe. Und ein bestimmter Werkkomplex mit Arbeiten verschiedener Künstler ist für das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe von Interesse.

Die Ausstellung Ihrer Sammlung geht wie so viele andere an Berlin vorbei und wird in Deutschland nur in Nürnberg zu sehen sein. Es ist doch eine wichtige Sammlung, die man auch in Berlin hätte zeigen können und müssen.

Ich kann diese Frage nur insoweit beantworten, als sie Nürnberg betrifft. Der Direktor der dortigen Kunsthalle, Lucius Griesebach, hat in der Zeit, als er als Kustos an der Berliner Nationalgalerie tätig war, häufig die Galerie Block besucht, war also mit der bewegten Geschichte deses Ortes vertraut. Als er von der für Kopenhagen geplanten Ausstellung hörte, hat er sein Interesse an einer Übernahme signalisiert. Neben den geplanten Stationen Kopenhagen, Helsinki, Nürnberg und Reykjavik wird die Sammlung noch 1994 in Rotterdam zu sehen sein. Man war dort nach Erhalt des Kataloges neugierig geworden, und eine Kustodin des Boymans-van-Beuningen-Museums reiste nach Kopenhagen. Dann gibt es ein starkes Interesse in Istanbul an einer Übernahme. Dies würde aber wahrscheinlich die letzte Station sein, denn das Material leidet zwangsläufig beim Ein- und Auspacken auf langen Tourneen.

Die Berliner Institutionen haben also einfach wieder geschlafen. Wenn sich jemand an Sie gewendet hätte, die Sammlung hier auszustellen, hätten Sie dann zugesagt?

Ja natürlich! Aber eigentlich bin ich sehr froh, daß sich diese Frage nicht gestellt hat. Ich könnte diese Sammlung, die ja viel mit der Geschichte Westberlins zu tun hat, hier und jetzt nicht so unbefangen zeigen wie in Kopenhagen oder in Rotterdam. Das ist doch das Absurde im Verhältnis zu dieser Stadt: Man haßt Berlin, weil man es liebt.