Mist! Puh! Pfui! etc.

■ Jugendwelle Fritz!: "Ereignisradio" für die Massen?

Sind die Leute genasführt worden oder schlicht undankbar? Nach 15 Tagen Fritz! jault es auf um Wellenchef Helmut Lehnert: „Mist! Puh! Pfui!“ etc. pp. Der ist zwar vorläufig zufrieden mit Fritz!, räumt aber seufzend ein, „daß das Ganze noch kein richtiges Gesicht hat“. Macht nichts. Denn Fritz! wurde von ORB und SFB in der Retorte gezeugt und ist nach Abschaltung von Radio100, DT64, Radio 4U (SFB) – dem Lehnert bis 31.12. vorstand – sowie RockradioB (ORB) die einzige Jugendwelle in Berlin-Brandenburg. Ein hypermotorisches Radiobaby, was das Tempo angeht, das seine Sprechwerkzeuge vorlegen.

Das ist Absicht: „Fritz! wird eine größere Einschaltquote als 4U oder RockradioB haben, weil es kommerzieller und konservativer ist!“ orakelt Lehnert siegessicher. Angefeuert durch den Run auf die Zahlen, umarmt Fritzchen seine Lieben äußerst rabiat – etliche lassen dabei ihr kümmerliches Hörer-Leben, was man unter dem Schlagwort „Minderheiten“ großzügig ignoriert. Zielgruppe und Aufgabe der Jugendwelle wurden rezessionsbewußt neu definiert; man folge jetzt dem „Zwang zur Sozialarbeit“ unter den bisher vor allem die Privatfunks einschaltenden 8- bis 25jährigen, „denen es sozial und mental dreckig geht“. Ein schier heilig zu sprechendes Vorhaben. Auf dem Weg von der bunten Avantgarde, die eh schon alles weiß, hin zur grauen Menge, die sich für nichts interessiert, weil sie im Informationsstau strampelt, wurde Fritz! als blinkende Spiralfeder konzipiert, die – der menschlichen Konzentrationskurve folgend – den Tag als Power-„Früh- Fritz“ mit Hochdruck beginnen und im abendlichen Talk-Radio „Blue Moon“ auch für weniger lebhafte Naturelle sanft ausschwingen soll. Klug gedacht. Dazwischen gibt es schlagzeilenkurze Nachrichten, die mit enervierender Musik unterlegt sind, aktuelle Interviews, fundierte Wortbeiträge und jede Menge musikalischen Mainstream, vor allem Oldies. Die Mehrheit der Leute habe schließlich Interesse an „Stabilität“. Höhepunkte sind nicht kenntlich, weil der Präsentation nach alles Höhepunkt sein zu müssen glaubt. Im Willen zur permanenten Lebhaftigkeit ersaufen informative, originelle Beiträge, „kommt“ vieles nur „vor“, nehmen sich gute Ideen gegenseitig die Kraft.

Viel fataler ist, daß man den Moderator als profilbestimmtes Zentrum entschlossen in einem Pool von Radiomachern verschwinden läßt. Was beim Fernsehen analog mit den Ansagerinnen geschieht – als archaischer Bezugspunkt abgeschafft. Globale Lettern wie „Soundgarden“ oder „Open Box“ sollen per se als Achse im Radiotag stehen, ohne daß man weiß, was hinter dem schicken Namen jeweils passieren wird. „Blue Moon“, die bis dato einzige Sendung mit festem Platz, kann ebensogut ein Special über Pornographie wie über Nina Simone sein und weder thematisch noch personell über den einzelnen Moderator identifiziert werden, wie es in den farbigeren Radiodays zum Beispiel beim weniger polternden „KonsequEnd“ Ronald Galenzas funktionierte. Nicht so das Hecheln in Schallgeschwindigkeit, sondern diese anonyme Beliebigkeit wird von den Hörern, ihren Anrufen zufolge, übelgenommen: Sie vermissen, so absurd es klingt, Programme, die tatsächlich und in respektabler Qualität stattfinden, eben weil sie nicht erkennbar gebunden sind. „Sozialarbeit“ ohne „Euren XYZ“, ohne die Singularität des einzelnen Sozialarbeiters? Das ist „neu!“, aber etwa „stabilisierend“?

Fritz! will die Ehrbarkeit des Öffentlich-Rechtlichen mit der Popularität kommerziellen Radios verquicken. Das ist nichts Schlechtes – im Gegenteil; wenn es je gelingt, wird es ein hörbares Wunder und nicht simples „Ereignisradio“ (Lehnert) sein. Fritzchen hat seine Chance: Er weiß noch nicht genau, wie es eigentlich sein soll, und fragt die Leute danach. Es will sich ändern, und es wird sich ändern müssen. Anke Westphal