Henry wird zum Wessi-Held

Henry Maske aus Frankfurt an der Oder wird nach seiner Methode und mit Köpfchen Box-Weltmeister im Halbschwergewicht nach Version der International Boxing Federation  ■ Aus Düsseldorf Peter Unfried

An gingen also die grellgelben Scheinwerfer, nach oben schnellten ein paar weiße Arme, und als erster warf sich der Freund und Trainer Manfred Wolke seinem Schützling um den Hals. Alsbald folgten der Manager und Promoter Sauerland, sowie alles, was in minimalster Zeit den Ring brechend gefüllt hatte. 0.43 Uhr war es, und mithin längst Sonntag geworden, als dann der Hallensprecher Hageleit vor Stolz fast platzend, das offizielle Ergebnis herausprustete. Während der entthronte Titelverteidiger „Prince“ Charles Williams trotzig aber nur mit großer Mühe zwei Fingerchen hob und sich ansonsten reichlich zerknirscht von dannen schlich, steckten sie Henry Maske in seinen violetten Seidenmantel, stülpten ihm den Siegerkranz mit der schwarzrotgüldenen Schleife um, und 6.200 Menschen in der ausverkauften Düsseldorfer Philipshalle standen auf den Stühlen und bejubelten ausführlich-gebührend ihren neuen Weltmeister aus Frankfurt an der Oder.

Durch die Halle geleitete man ihn, keinen Winkel ließ er aus, und wo immer er hinkam, umarmten ihn die Leute, manche Freunde, viele Fremde, und alle sagten: „Mensch Henry, daß du das geschafft hast!“ Wahrlich eine Leistung: Ein ehemaliger NVA-Oberleutnant wird im Vorzeigesport des Kapitalismus zum Held der Wessis.

Außenseiter war der 29jährige gewesen, mehr nicht, und das trotz makelloser Bilanz von 19 Kämpfen, 19 Siegen. Aber richtig kompetente Halbschwergewichtler hatte der Mann eben bis dato nicht. Und nicht wenige Experten hielten Charles Williams, 30, und seit Oktober 1987 Titelträger der International Boxing Federation (IBF), für den Allerbesten seiner Gewichtsklasse. Achtmal hatte der seinen Titel verteidigt, nun kam er zum ersten Mal an das große Geld (800.000 Mark). Aber: Der Junge vom Mississippi hatte wegen eines Handbruchs achtzehn Monate nicht mehr im Ring gestanden, und Maske, so erklärte er es sich hernach, „war zu lang“. Gürtel futsch, weitere Börsen in siebenstelliger Höhe sowieso, und dabei, so klagte „Prince“ Charles, „hat er mich kein einziges Mal erschüttert.“

Wie denn auch? Henry Maske, gelernter Amateurolympiasieger, boxte das, was er kann. Wie kein anderer. Also: Erst einmal schauen, was der andere draufhat. „Nach zwei Runden“, sagte Henry Maske hernach, „wußte ich, was ich zu tun hatte.“ Dieses: Dem rechten Aufwärtshaken, mit dem Williams ihn zu fällen gedachte, immer schön ausweichen, und dann „die Momente greifen, in denen er seine Pausen braucht.“ In jenen schoß dann des Rechtsauslegers Linke heraus, welche den Weltmeister zwar nicht in die Horizontale befördern konnte, die dafür aber punktete und punktete, bis ihn alle drei Punktrichter deutlich (116:110, der Deutsche, 118:110, der Belgier, 115:111, der Amerikaner) vornhatten.

Auch der entthronte Williams sah das wohl so und pries den Brandenburger hernach als einen „wahren Champ“. „Wenn so ein Mann das sagt“, folgerte flugs Maske, „können sogenannte Fachkreise zweimal hinhören.“ „Sogenannte Fachkreise“, das sind die, die ihm selbst nach seinem größten Sieg noch vorwerfen möchten, er sei eigentlich mehr Schauspieler denn Faustkämpfer. „Leute, die das Boxen primitiv machen möchten,“ heißt Maske, dem die Halbwelt herzlich egal ist, diese blutrünstige Kund- und Kritikerschaft, die nicht einsehen will, daß „Boxen so viel mehr sein kann.“

In der Kabine hatte ihm der Ringarzt gerade die rechte Augenbraue gerichtet, nach jeweils drei, vier Worten mußte er eine fast unmerkliche Sprechpause einlegen: Sein erster Kampf über zwölf Runden hatte den Mann an seine Grenzen gebracht. Aber seine Linie verlor er auch jetzt nicht: „Dieser Sport ist ehrliche Arbeit“, diktierte er dem Reporter von USA Today in den Block. Und als der partout wissen wollte, was denn nun genau den Ausschlag für den Sieg gegeben habe, da tippte sich Henry Maske lässig an die Stirn. Der Mann ist tatsächlich im Begriff, das Krachen der Knochen zur „geistigen Auseinandersetzung“ zu kultivieren.

Apropos Geist: Im grellroten Jacket zum Gratulieren und vor die Kameras geeilt, kam auch auch der Karlsruher Markus Bott. Auch der derzeit beste WBO-Cruisergewichtler darf sich bekanntlich ungestraft Weltmeister nennen. Womit der Bund deutscher Berufsboxer (BDB) zum ersten Mal ein seiner Geschichte zwei Weltmeister gleichzeitig hat. Bahnt sich da ein Boom an? „Ich hoffe es nicht nur, ich glaube es sogar“, behauptet Maske. Und da Cruiserweight und Halbschwergewicht so weit auch nicht auseinanderliegen, sonst noch etwas? Oder, oh weh, vielleicht besser doch nicht. „Fürchterliche Prügel“ sieht etwa der bisweilen als Kabarettist fungierende Boxexperte Werner Schneyder kommen. Für Bott, wohlgemerkt. Aber was schert die Zukunft an einem solchen Tag? „Seid ihr mit uns zufrieden“, fragte allerorts Manfred Wolke und sah dabei in die Runde wie ein Konfirmand. Und Maske etwas nüchterner: „Ich habe jetzt diesen Titel und alles weitere...“ Wird Manager Sauerland schon richten. Der konnte jedenfalls schon mal bestätigen: „Auf Spenden ist Henry Maske jetzt nicht mehr angewiesen.“

Am Samstag gab es etwa 100.000 Mark. Wenn der Weltmeister Henry Maske den Titel aber zum ersten Mal verteidigt, geht das Geldverdienen richtig los.