Lebensschützer verhindern ambulante Abtreibung

■ Arzt ringt seit zwei Jahren um kassenärztliche Zulassung in München

München (taz) – Seit knapp zwei Jahren führt der Arzt Andreas Stapf in seiner Stuttgarter Praxis ambulante Abtreibungen durch, zuvor hatte er eine Praxis in Wiesbaden. Weil er aus dieser Zeit den erzwungenen „Abtreibungstourismus“ bayerischer Frauen kennt, will er nun in München eine Praxis für ambulanten Schwangerschaftsabbruch eröffnen. Räume im Münchner Westen sind bereits seit dem 1.Februar angemietet, die Umbauten im Gange, doch seit Monaten ringt er um eine kassenärztliche Zulassung.

Am 15. Februar wurde die Entscheidung darüber bereits zum dritten Mal vertagt. Die ersten beiden Male, so Stapf, scheiterte es daran, daß unklar war, ob die Gesetzlage in Bayern eine derartige Einrichtung überhaupt zulassen würde. Beim dritten Mal hieß die Begründung, gegen Stapf laufe zur Zeit ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren.

Nicht ganz unbeteiligt an diesem Ermittlungsverfahren ist die Prominenz der bayerischen „Lebensschützer“. War man doch bereits im Vorfeld aktiv geworden und hatte dafür gesorgt, daß selbst Unbeteiligten der „Fließbandabtreiber“ Stapf suspekt erscheinen mußte.

Auf einer Pressekonferenz der katholischen „Aktion für das Leben“ (AfdL) im Dezember letzten Jahres ließ Ermin Brießmann, Vorsitzender Richter am bayerischen Oberlandesgericht, bereits verlauten: „Der Staat kann kein Recht auf Tötung vergeben.“ Brießmann war schon im Zusammenhang mit den Memminger Prozessen als Hardliner aufgefallen. An seiner Seite kämpft Hans Wagner, Professor für Zeitungswissenschaft und Vorsitzender der AfdL. Er prangerte an, die „Abtreibungsmentalität“ verursache einen „Dammbruch der sittlichen Einstellungen“, jede Tötungshemmung werde dabei aus „Hirn und Herzen“ hinausgelogen. Man könne nicht naiv so tun, als habe das keine Folgen: Die wachsende Gewalt gegen Ausländer, Juden und Behinderte würde nur die „angeblich so emanzipatorischen Handlungs- und Wertemuster der Abtreibung“ reproduzieren. „Lebensschützer“, die zunehmend wegen ihrer Rechtslastigkeit ins Gerede kommen, sind offensichtlich zur Vorwärtsverteidigung übergegangen.

Zumindest der dritte im Bund der Gegner der ambulanten Abtreibung, der Gynäkologe Ingolf Schmid-Tannwald, hat auch allen Grund dazu. Der Leiter der Familienplanungsstelle in der Frauenklinik im Münchner Klinikum Großhadern ist nämlich Mitbegründer einer neuen „Lebensschutz“-Vereinigung „Ärzte für das Leben“ (ÄfdL).

Offensichtlich zur Mitglieder- Werbung, hat diese Organisation schon mehrfach lange Artikel inklusive Bezugsadresse für weiterführende Informationen in diversen rechtsradikalen Zeitungen veröffentlicht. In der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Zeitschrift Code ließ der Vorsitzende der ÄfdL, Claus von Aderkas aus Neumünster, zum Thema Abtreibungsgesetzgebung verlauten: „In Gewissensfragen hat das Mehrheitsprinzip keinen Platz.“

Als zweiter Vorsitzender der „Ärzte für das Leben“ unterzeichnete Schmid-Tannwald seinen jüngsten Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung. Anstatt wie sein Vereinskollege antidemokratische Prinzipien zu vertreten, verfolgt der ÄfdL in der bürgerlichen Presse offenbar eine andere Taktik. Im Leserbrief warf Schmid- Tannwald seinem Berufskollegen Stapf einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vor, außerdem werde gegen Stapf bereits wegen Mordes ermittelt. Die gleichen Anschuldigungen verbreitete auch die Katholische Nachrichtenagentur.

Tatsächlich ermittelt die Wiesbadener Staatsanwaltschaft schon seit Oktober 1991 gegen Stapf wegen der Tötung von vier krebskranken Frauen. Die Vorwürfe fallen in seine Zeit als Assistenzarzt in Wiesbaden von 1973 bis 1975 und waren bereits im Frühjahr 1991 im zeitlichen Zusammenhang mit der Eröffnung der Stapfschen Abtreibungspraxis in Stuttgart aufgetaucht. Damals hatte ein weiterer prominenter bayerischer „Lebensschützer“, Ernst Theodor Mayer, dem baden-württembergischen Oberlandesanwalt Harald Fliegauf einen Wink gegeben: Stapf habe gegenüber Julia Schätzle, der baden-württembergischen Landesvorsitzenden der „Lebensschützer“-Organisation „Christdemokraten für das Leben“, geäußert, er habe „vier krebskranke Frauen auf deren Wunsch durch ,Abspritzen‘ getötet“. Was normalerweise höchstens zu einem Ermittlungsverfahren wegen Tötung auf Verlangen führt und in diesem Fall schon verjährt gewesen wäre, wird nun von den bayerischen Lebensschützern“ als „Argumentationshilfe“ wieder ausgegraben.

Daraufhin wurden dem Stuttgarter Arzt von seiner Bank die Kredite für den Ausbau der Ambulanz gestrichen und die kassenärztliche Zulassung verweigert. Sein Anwalt Jürgen Fischer, der schon den Memminger Frauenarzt Horst Theissen verteidigte, reagierte in einem Schreiben an die Mainzer Staatanwaltschaft nur noch ironisch: „Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden läßt sich vor den Karren fanatischer ,Lebensschützer‘ spannen, denen Herr Stapf als der Protagonist allen Übels gilt. Offensichtlich genügt es diesen Missionaren des ,Lebensschutzes‘ nicht, den altbösen Feind in das (Nacht-)Gebet einzuschließen. Den himmlischen Heerscharen soll doch noch irdische Hilfe durch Polizei und Staatsanwaltschaft hinzugegeben werden, um den Sünder zur Strecke zu bringen.“ Elke Amberg