: Bayern: Hürden für legale Abtreibung
Die bayerische Landesregierung weigert sich, die nach dem neuen Paragraphen 218 vorgesehenen Beratungsstellen einzurichten und flächendeckend für Abtreibungsmöglichkeiten zu sorgen ■ Aus München Corinna Emundts
Als sie die Antwort des bayerischen Sozialministers Gebhard Glück (CSU) schwarz auf weiß in den Händen hielt, konnte sich die Landtagsabgeordnete Christine Scheel nur noch wundern. Glück hatte auf ihre Anfrage, wie denn das am 4.August 1992 in Kraft getretene Schwangeren- und Familienhilfegesetz in Bayern umgesetzt werde, signalisiert, es sei alles in bester Ordnung. Es gebe in Bayern die im Gesetz flächendeckend geforderte Schwangerenberatungsstellen schon: schließlich stünde in jeder größeren Stadt ein Gesundheitsamt. „Das ist ein Witz“, empört sich Christine Scheel, frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, „das ist keine Umsetzung des Gesetzes im Sinne der Frauen.“
Tatsächlich paßt das Gesetz, welches im Zuge der Diskussion um den Paragraphen 218 im vergangenen Sommer von Bonn verabschiedet wurde, der bayerischen Regierung nicht in den Kram. Enthält es doch neben sozialen Maßnahmen zum Schutz ungeborenen Lebens auch Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und bei der Abtreibung. Danach muß ein flächendeckendes Netz an Beratungsstellen vorhanden sein, wobei Frauen zwischen konfessionellen und nicht- konfessionellen BeraterInnen wählen können. Ebenso sollen Frauen, die abtreiben, in „zumutbarer Entfernung“ ambulant und stationär behandelnde Einrichtungen vorfinden.
Bei diesem Passus sieht Bayern erst gar keinen Handlungsbedarf, weil Sozialminister Glück ihn für verfassungswidrig erklärte und mit in die bayerische Normenkontrollklage aufnahm. Über diese wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe parallel zur Neuregelung des Paragraphen 218 vermutlich im April entscheiden. „Rechtlich gesehen darf sich die bayerische Regierung trotz ihrer Klage nicht weigern, das Gesetz umzusetzen, was aber eindeutig passiert“, so Christine Scheel.
Des Sozialministers Begründung: Die sozialen Verbesserungen im Gesetz würden konterkariert durch die Verpflichtung, ein flächendeckendes Netz an Abbruchmöglichkeiten zu schaffen. Frauen, die in Bayern legal abtreiben, werden somit immer noch zu einer Vollnarkose und mehrtägigem Klinikaufenthalt gezwungen. Nur in München haben Ärzte seit vergangenem Herbst zaghaft begonnen, ambulante Abtreibung anzubieten, was für die Frauen eine medizinisch und psychisch geringere Belastung bedeutet. Bevor das neue Gesetz kam, war ambulante Abtreibung in Bayern verboten.
„Stationäre Behandlung konnte man politisch besser kontrollieren, zudem wirkt es abschreckender“, vermutet der Münchener Gynäkologe Dr.Norbert Pfützenreuter, der vor einem halben Jahr mit einem Kollegen eine Operationspraxis eröffnete und auch ambulante Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Er kann nicht verstehen, „daß in Kliniken kein ambulanter Abbruch angeboten wird, wo Bundesgesundheitsminister Seehofer verstärkt ambulante Versorgung fordert“. Sozialminister Glück prägte erst vergangene Woche in einem Bericht den Leitsatz für Kliniken: „Soviel ambulant wie möglich, soviel stationär wie nötig.“ Für Abtreibung scheint dies nicht zu gelten.
Der Münchner Gesundheitsreferent Thomas Zimmermann (CSU) hält den Vorschlag von SPD und Pro Familia, ein städtisches Ambulatorium einzurichten, für unnötig: „Die Krankenhäuser sind für die stationäre Versorgung zuständig, die Ärzte der Stadt für die ambulanten Eingriffe.“
Diese Begründung hält Gynäkologe Norbert Pfützenreuter für falsch. „Man kann gerade den Schwangerschaftsabbruch nicht den Ärzten allein überlassen“, weil ein Arzt gerade in Bayern von der Öffentlichkeit geächtet werde, wenn er Abbrüche durchführt. „Die Kliniken haben eine Versorgungspflicht, da gehört das dazu.“ In einer Klinik sei der einzelne Arzt besser geschützt und von außen weniger angreifbar. „Ich erlebe oft unter Kollegen, daß es in Bayern immer noch anrüchig ist, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.“ Auch er wolle nicht in den Ruf einer Abbruchpraxis geraten, deswegen versuche er den Anteil der Abtreibungen an den durchgeführten Eingriffen – trotz hoher Nachfrage – nicht über zehn Prozent kommen zu lassen.
Die Abschreckungspolitik hat ihre Folgen, die sich sehr einfach in den Zahlen des bayerischen Landesamtes für Statistik erkennen lassen. 1991 wurden in Bayern bei elf Millionen EinwohnerInnen 5.721 Schwangerschaftsabbrüche gezählt, kaum mehr als im selben Jahr in West-Berlin. In Hessen waren es bei 5,6 Millionen EinwohnerInnen rund 18.000 Abtreibungen. „Wir wissen definitiv, daß Frauen aus Bayern in Tageskliniken nach Hessen fahren, wir schicken sie nämlich selbst dahin“, sagt Eva Zattler, Mitarbeiterin bei der Münchner Pro-Familia-Beratungsstelle. Sie empfiehlt schwangeren Frauen mit einer Indikation den ambulanten Eingriff. Die Komplikationsrate ist niedriger im Vergleich zu stationärer Behandlung, eine örtliche Betäubung risikoärmer als die in Kliniken angewendete Vollnarkose. Zudem käme die Fahrt nach Hessen und die dortige ambulante Behandlung die Krankenkassen billiger als ein stationärer Aufenthalt in München. Eva Zattler macht die bayerische Regierung für den Status quo verantwortlich, „in dem Sinn, daß sie nicht für ein flächendeckendes Angebot an Beratungsstellen und Abbruchmöglichkeiten sorgt“. Pro Familia wisse aus Gesprächen, daß die Mehrzahl der Frauen einen ambulanten Abbruch vorziehen würde.
In Bayern arbeiten derzeit sieben konfessionslose Beratungsstellen, zu denen auch Pro Familia gehört. Demgegenüber gibt es 22 katholische und sechs evangelische Beratungsstellen sowie 71 Gesundheitsämter – jedoch mit Beratern, die keine Sonderausbildung haben (wie etwa Pro Familia sie fordert) und oft mit anderen Aufgaben überlastet sind.
Von katholischen Beratungsstellen berichten Frauen, daß sie nicht einmal eine Liste mit ÄrztInnen bekämen, die Abbrüche durchführen. So landen bei Pro Familia oft Frauen, die über 100 Kilometer Anreise hinter sich haben – nur für die gesetzlich geforderte Beratung.
Bei Schwangerschaftsabbrüchen sieht es ähnlich aus: Entweder die Schwangeren reisen in ein anderes Bundesland oder nach München. In den ländlichen Regionen führen teilweise Kreiskrankenhäuser Abtreibungen nur bei medizinischer, nicht aber bei sozialer Indikation durch. „Gynäkologen, die Abbrüche vornehmen, sind auf dem Land extrem dünn gesät, weil sich das in einer kleinen Gemeinde sehr schnell rumspricht und er oder sie persönlichen Anfeindungen ausgesetzt ist“, erklärt Eva Zattler. Doch selbst in einer größeren Stadt wie Augsburg gibt es nur eine Privatklinik, die Abtreibungen anbietet.
Manchmal, sinniert Eva Zattler, wünsche sie sich, eine schwangere Frau mit Indikation würde gegen den Freistaat Bayern klagen. Das Recht hätte sie dazu. Aber dann würde natürlich öffentlich werden, daß sie abtreibe, und das wolle verständlicherweise keine. Wir sind hier ja in Bayern, sie wissen doch. Trotzdem ärgert sich die Pro-Familia-Beraterin ab und zu, wenn sich eine Schwangere bei ihr über die schlimmen Zustände beklagt. „Das ist hier ja keine gottgegebene Ordnung – die Frauen können wählen. Das sind hier die Bedingungen, die sie selber geschaffen haben.“ Bei der Bundestagswahl 1990 stammten von 100 abgegebenen Wahlstimmen für die CSU 54 von Frauen.
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