Hamburg-Bahrenfeld, Ortsteil Hermes

■ Expansionspläne eines Kreditversicherers / Streit um Kindergartenplätze / Kossak puscht / Bezirkspolitiker machtlos

/ Streit um Kindergartenplätze / Kossak puscht / Bezirkspolitiker machtlos.

„Kniefall vor dem Kapitalismus“, schimpfen die Altonaer SPD-Genossen in ungewohnt klassenkämpferischem Jargon auf die Stadtentwicklungsbehörde (Steb). Der Grund für die rüde Verbalattacke: die Expansionsgelüste des Bahrenfelder Kreditversicherers „Hermes“, für deren Verwirklichung Steb-Oberbaudirektor Kossak höchstpersönlich bürgt.

Gleich zwei Hermes-Projekte beschäftigen zur Zeit die bezirklichen Stadtplaner. Um einen Teil der 1400 Hermes-Mitarbeiter unterzubringen, soll ein fünfstöckiges Verwaltungszentrum zwischen der Gasstraße und der S-Bahn-Trasse her. Der Bau für 300 Millionen Mark soll mit einem halben Kilometer Länge und einer Fläche von 31242 Quadratmetern doppelt so groß werden wie das Phantomtheater (am S-Bahnhof Holstenstraße) samt seinen Nebengebäuden. Denn die 22geschossige Hermes-Zentrale an der Friedensallee 254, in deren Schatten halb Bahrenfeld liegt, ist den expansionsfreudigen Versicherungsmanagern zu klein geworden. Ende nächsten Jahres will der Versicherungskonzern mit den Bauarbeiten beginnen, die Anfang 1997 abgeschlossen werden sollen.

Das zweite Hermes-Projekt soll auf der Südseite der Gasstraße, direkt gegenüber dem Verwaltungsneubau entstehen: auf dem ehemaligen Gaswerksgelände. Eigentlich wollten Altonas Kommunalpolitiker hier einen neuen Ortskern für Bahrenfeld errichten. Wohnungen und soziale Einrichtungen für den Stadtteil sollten hier Platz finden, die alten Gaswerkshallen als Industriedenkmäler erhalten bleiben und gewerblich genutzt werden.

Doch die Hermes, die in den vergangenen Jahren fast das gesamte Areal zwischen der Gasstraße und der Mendelssohnstraße aufgekauft hat, ließ ihre guten Kontakte zu Hamburgs Behördenspitzen spielen. Mit Erfolg. Oberbaudirektor Egbert Kossak entschied: keine Planungen ohne Hermes. Kossak stoppte einen städtebaulichen Wettbewerb für den neuen Ortskern, forderte stattdessen die Hermes auf, eigene Pläne vorzule- gen. Die will auf dem Terrain ein Gewerbegebiet errichten, möglichst viele der denkmalschutzwürdigen Gaswerkshallen abreißen. Hermes-Sprecher René Andrich: „Wir werden da nur bauen, wenn sich die Rendite lohnt“.

Die Altonaer Politiker aller Fraktionen sehen allerdings mit Unbehagen, wie sich der Hermes- Konzern einer Krake gleich in Bahrenfeld ausbreitet. Im April vergangenen Jahres mußte bereits ein Supermarkt der neuen Hermes-Tiefgarage weichen. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist zu Fuß für ältere Leute aber kaum zu erreichen.

Doch da die Hermes-Planer auch bei den Planungen für ihre neue Verwaltungszentrale die Rückendeckung der Stadtentwicklungsbehörde hinter sich wissen, können die Altonaer Bezirkspolitiker nur noch um ein paar kleine gemeinnützige Bonbons mit den Versicherungs-Managern feilschen. Die Erteilung baurechtlicher Befreiungen vom bestehenden Bebauungsplan machte der Stadtplanungsausschuß Anfang März davon abhängig, daß Hermes in dem Neubau neben einem Betriebskindergarten auch 60 öffentliche Kindertagesheimplätze und einen Lebensmittelmarkt unterbringt.

Für die Hermes-Verantwortlichen ist das schon zuviel des Guten. „Wir sind ja kein Kindergar-

1tenbetreiber“, wehrt Hermes-Sprecher Andrich die Forderungen ab. Altonas SPD-Chef Michael Pape klagt darüber, daß die Hermes weitgehende „baurechtliche Befreiungen beantragt“, gleichzeitig aber „nicht bereit ist, den Interessen der Anwohner nur ein Stück entgegenzukommen“. Doch im Verhandlungspoker um Kindergarten und Supermarkt ist Pape der Bezirksamtsleiter und Parteigenosse Hans- Peter Strenge bereits gezielt in den Rücken gefallen. „Ich gehe davon aus, das notfalls der Senat einschreitet und das Projekt genehmigt“, erklärt der Bezirkschef alle Verhandlungsversuche von vornherein für nutzlos. Marco Carini