■ Frankreich nach den Wahlen
: Vom Big Bang zum Big Blow?

Der konservative Figaro triumphiert: „Die Franzosen haben dem Sozialismus den Totenschein ausgestellt.“ Noch ein Totenschein. Aber ganz so epochal ist das Ergebnis der französischen Wahlen nun doch nicht – vor allem nicht so eindeutig. Wohin Westeuropa politisch steuert, werden wir erst wissen, wenn die Union der Christdemokraten in der Bundesrepublik und die Tories in England durch den Wählerwolf gedreht werden.

Wirklich beunruhigend ist, daß die Öko-Parteien von den Stimmenverlusten der Sozialisten nicht profitieren konnten. Was wird nun aus Rocards Schnellschuß in die richtige Richtung? Vom Big Bang zum Big Blow? Der Druck, neu anzufangen, ist größer geworden, und er lastet nun auch auf den Ökologen, die sich vor der Wahl ablehnend gegenüber den Sirenengesängen der Sozialisten zeigten. Seit dem Wahlsonntag kommt der Veränderungsdruck nur mehr aus der Depression, die durch das gute Abschneiden von Marchais und Le Pen noch vertieft wird. Die Ränder sind stabil, das Zentrum ist labil.

Die demokratischen Oppositionsparteien in Deutschland zeigen sich derweil ziemlich unbeeindruckt vom Desaster ihrer Schwesterparteien. Dazu besteht kein Grund. Wenn die Sozialisten im Nachbarland bei 20, die Sozialdemokraten hier bei 30 Prozent liegen, verdankt sich die Differenz vor allem der Tatsache, daß Frankreichs Wähler fürs Regieren keine Rabatte mehr vergeben und vor der Höchststrafe nicht zurückschrecken. Selbst eine funktionierende parlamentarische Opposition scheint ihnen verzichtbar.

Auch die deutschen Grünen haben bei den hessischen Kommunalwahlen – trotz hoechster Wahlhilfe – nicht eben grandios abgeschnitten. Rote und Grüne sollten sich überlegen, ob sie mit gemischten Gefühlen und gespaltenen Botschaften ins Wahljahr 94 gehen. Die SPD kann nicht die sozial Schwachen schützen und zugleich die Besitzstände des Mittelstands verteidigen. Die Grünen können nicht mit der Ampel kokettieren und sich wie eine überreife APO gebärden, nicht gleichzeitig die drohende große Koalition verhindern und von ihr profitieren.

Die Wahlen in Frankreich sind kein Totenschein, sondern gehören zu den Geburtswehen neuer politischer Konstellationen in Europa. Was dabei herauskommt, hat weniger mit Schicksal als mit Geschick zu tun. Bernd Ulrich

Publizist, lebt in Köln