Frankreichs Sozialisten erhielten am Sonntag erwartungsgemäß eine deutliche Abfuhr, eigentliche Überraschung der Wahl war das schlechte Ergebnis des Umwelt- bündnisses. Der bürgerliche Block kann nach dem zweiten Wahlgang am Sonntag mit etwa 80 Prozent der Sitze rechnen – schwere Zeiten für Präsident Mitterrand.

Frankreich wählt eine neue Regierung ohne Opposition

Zunächst ungläubig, dann völlig niedergeschmettert haben Frankreichs Ökopolitiker am Sonntag abend das Ergebnis des ersten Wahlgangs zur französischen Nationalversammlung aufgenommen. „Wir liegen weit abgeschlagen hinter der Front National. Das ist die Katastrophe“, sagte eine Anhängerin, die zum Feiern in das Festzelt gekommen war, das „Génération Ecologie“ (GE) und „Die Grünen“ mitten auf dem Boulevard vor ihrem Wahlkampfbüro aufgebaut hatten.

Tatsächlich ist das schlechte Ergebnis des grünen Bündnisses die eigentliche Überraschung: Mit 7,7 Prozent der Stimmen sind die Umweltparteien zur kleinsten Oppositionskraft geworden. Das ökologische Bündnis kann mit der Grünen-Sprecherin Dominique Voynet nur eine grüne Kandidatin in den zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag schicken. Die Öko- Parteien haben besonders unter der geringen Wahlbeteiligung gelitten; die Enthaltung betrug fast 32 Prozent. Außerdem haben ihnen zahlreiche angeblich ökologische, tatsächlich aber rechte Gruppierungen Stimmen weggenommen, die mit täuschend ähnlichen Stimmzetteln angetreten waren.

Die Resultate der übrigen Parteien entsprechen weitgehend den Erwartungen: Das bürgerliche Bündnis aus RPR und UDF ist mit 39,5 Prozent der Stimmen der große Sieger des ersten Wahlganges. Von den konservativen Kandidaten sind 80 bereits im ersten Wahlgang gewählt worden — von den übrigen Parteien hat bisher keine auch nur einen Kandidaten durchgebracht. Unter den Gewählten sind zahlreiche Spitzenpolitiker: RPR-Chef Jacques Chirac, UDF-Chef Valery Giscard d'Estaing, der voraussichtliche neue Premierminister Eduard Balladur (RPR) sowie der Maastricht- Gegner Philippe Seguin (RPR) haben die absolute Mehrheit in ihrem Wahlkreis erzielt. Im zweiten Wahlgang können alle Kandidaten antreten, die 12,5 Prozent der Stimmen erreicht haben; bei der geringen Wahlbeteilung setzt das einen Erfolg von etwa 18 Prozent der abgegebenen Stimmen voraus.

Nach Schätzungen dürfte das bürgerliche Bündnis nach dem zweiten Wahlgang vom kommenden Sonntag zwischen 460 und 480 der 577 Sitze der Nationalversammlung erobert haben, das entspricht also rund 80 Prozent der Sitze. Die Nationalversammlung war noch nie so rechtslastig.

Die Sozialistische Partei (PS) hat wie erwartet eine demütigende Niederlage erlitten: Die Regierungspartei sackte auf 17,6 Prozent der Stimmen ab, das ist ihr schlechtestes Ergebnis seit 20 Jahren. Ex- Premierminister Michel Rocard, liegt in seinem Wahlkreis Conflans-Sainte-Honorine mit nur 27 Prozent elf Prozentpunkte hinter seinem konservativen Gegenkandidaten. Rocard hatte mit seiner Rede vom big bang für einen der wenigen Höhepunkte des Wahlkampfes gesorgt. Seine Wiederwahl ist nun äußerst ungewiß. Falls er scheitert, ist kein anderer Politiker in Sicht, der die Linke aus der Talsohle führen könnte.

Von den 28 Regierungsmitgliedern, die für die Nationalversammlung kandidiert haben, ist Wirtschaftsminister Michel Sapin bereits geschlagen. Premierminister Pierre Bérégovoy, Außenminister Roland Dumas, Industrieminister Dominique Strauss-Kahn und Bildungsminister Jack Lang müssen um ihre Abgeordnetensitze bangen. Auch die Wiederwahl von PS- Chef Laurent Fabius ist gefährdet. Einzig der Minister für Städtebau, Bernard Tapie (MRG), schnitt in Marseille besser ab als seine Gegenkandidaten und geht somit in guter Ausgangsposition in den zweiten Wahlgang. Die Sozialisten haben vor allem in ihren Hochburgen in Nordfrankreich verloren.

Drittstärkste Kraft wurde die Front National (FN). Mit 12,5 Prozent der Stimmen schnitt sie besser ab als erwartet. Verglichen mit den Wahlen von 1988 hat sie um fast drei Prozent zugelegt. Hochburgen der FN sind insbesondere Marseille und Nizza, das Ballungsgebiet um Paris sowie der Norden und das Elsaß. Die FN schickt etwa 100 Kandidaten in den zweiten Wahlgang, darunter Parteichef Jean-Marie Le Pen, der seine Gegner in Nizza mit 27,5 Prozent überrundete. Wegen des Mehrheitswahlrechts kann die FN jedoch mit maximal fünf Abgeordneten rechnen.

Die Kommunisten bleiben mit 9,2 Prozent überraschend stark. Erfolge erzielten sie vor allem in einigen alten Bastionen der Pariser Banlieue sowie in früheren Industriegebieten des Nordens. Da sie über eine Anzahl von anerkannten Politikern verfügen, können sie erneut mit bis zu 20 Abgeordneten rechnen.

Bis heute abend müssen sich die Kandidaten entscheiden, ob sie auch im zweiten Wahlgang antreten werden. Die Sozialisten haben angekündigt, daß sie sich überall dort zurückziehen werden, wo ein Kommunist oder ein Öko-Politiker besser plaziert ist.

Die Mehrheitsverhältnisse sind klar. Dennoch hat die Wahl vom kommenden Sonntag Signalcharakter: Das Ergebnis wird zeigen, ob die Sozialisten den Konservativen alle Macht überlassen wollen. Auch für die cohabitation der konservativen Regierung mit Präsident Mitterrand ist das Endergebnis entscheidend: Je größer die Übermacht der Rechten, desto härter dürfte ihre Politik ausfallen. Da alle französischen PolitikerInnen von nächster Woche an auf die Präsidentschaftswahl 1995 fixiert sein werden, könnte die Rechte versucht sein, auch den Wählern der FN zu gefallen. Bettina Kaps, Paris