■ Jesús Diaz an Bill Clinton: Zeigen Sie Großmut und Kühnheit!
: Den kubanischen Knoten zerhau'n

Der große paraguayische Schriftsteller Augusto Roa Bastos vermacht uns mit seinem jüngsten Roman „Vigilia del Almirante“ (Die Wacht des Admirals) eine Sicht voll Liebe und Haß auf das, was er die „Verdeckung“ Amerikas nennt. Verkleidet in der Person des Christoph Kolumbus, schreibt Bastos dort: „Siebzehn Schiffe, die mächtigsten und am stärksten bestückten des Königreichs, blockieren die gesamte Insel, als ob diese ein Nest von Ratten wäre, von einer ansteckenden Krankheit befallen (...) Zum ersten Mal in der Geschichte der Welt sieht sich eine große Insel in ihrer Gänze einer solch harten Belagerung und Blockade ausgesetzt...“

Der Roman spielt in der Vergangenheit. Doch es ist offenkundig, daß der Autor uns darin von der Gegenwart und sogar der Zukunft erzählt und sich – mit aller Freiheit seiner Phantasie – auf die aktuelle Blockade der USA gegen Kuba bezieht. Und seine Sicht der Blockade Kubas ist nicht nur deshalb von Interesse, weil Roa Bastos einer der großen Schriftsteller der Gegenwart, sondern auch weil sie von fast allen Kräften in der ganzen Welt geteilt wird, die wir als „zur Linken gehörig“ begreifen.

Eine völlig entgegengesetzte Sicht vertritt ein anderer Meister unserer Sprache, der Peruaner Mario Vargas Llosa, einer der bedeutendsten Vertreter der aufgeklärten Rechten Lateinamerikas. In seinem Aufsatz „Eterno Crepúsculo“ (Ewige Dämmerung; El Pais vom 24.1.93) argumentiert Vargas Llosa mit Nachdruck, daß die Blockade gegen Kuba lediglich ein „Mythos“ sei. Wie es in Fällen, in denen sich die Meinungen so frontal und unversöhnlich gegenüberstehen, oft passiert, nehmen die Verteidiger beider Positionen eine manichäische Haltung an.

Die Linke tut oft so, als ob die Blockade gegen Kuba eine militärische wäre; und sie setzt selbstverständlich voraus, daß die unerträglichen Entbehrungen, die die Insel erleidet, direkte Folge der US- amerikanischen Feindseligkeit sind. In Wirklichkeit ist die Blockade eine wirtschaftliche; die schreckliche Situation, die Kuba durchlebt, ist nicht in erster Linie Konsequenz des Embargos, sondern der katastrophalen Wirtschaftspolitik, die die primitive Caudillo-Herrschaft Fidel Castros dem Land aufgezwungen hat, sowie des Endes der sowjetischen Unterstützung.

Es stimmt wohl, daß Kuba nicht mehr Waren in der übrigen Welt kauft, weil dem Land dafür schlechterdings das Geld fehlt. Dennoch hätte eine Aufhebung der drakonischen Gesetze, die in den Vereinigten Staaten in bezug auf Kuba gelten, einen Effekt auf die Wirtschaft des Landes, der nur vergleichbar wäre mit der Wirkung, die – im entgegengesetzten Sinne – die Verhängung der Blockade zu Beginn der 60er Jahre hatte.

Die Rechte gibt die Schuld an der gegenwärtigen Lähmung des kubanischen Volkes allein der Repression und der Indoktrinierung, der die Kubaner über Jahre hinweg ausgesetzt waren. Die Linke verwechselt diese Lähmung allzuoft mit Unterstützung für Fidel Castro. Mir scheint dieser Lähmungszustand vielmehr die Folge davon zu sein, daß die kubanische Bevölkerung die unheilvolle Zukunft noch mehr fürchtet als die schreckliche Gegenwart. Und es mangelt ihr nicht an Gründen dafür: das Schauspiel der einstigen Sowjetunion, die in ein bodenloses Chaos gestürzt ist; die blutige Selbstzerstörung des einstigen Jugoslawien; die traurige Trennung der einstigen Tschechoslowakei; der Zusammenbruch der einstigen DDR; und die erbärmlichen Folgen, die der ungezügelte Kapitalismus in anderen einstigen „Volksdemokratien“ hervorgebracht hat – all dies kann für niemanden ein Vorbild sein. Folgt nicht die Verwandlung der Insel in „eine Beute, die verschlungen werden wird von Emigranten, die nach ihren alten Privilegien hungern“, wie die New York Times am 3. März in ihrem Editorial schrieb? Droht nicht gar die Rückkehr zu jenem Zustand einer Halbkolonie der USA, gegen den wir Kubaner seit Generationen kämpfen?

Die einseitige Aufhebung des wirtschaftlichen Embargos und der politischen Blockade durch die Vereinigten Staaten hätte vor allem eine gewaltige psychologische Wirkung auf die Bewohner der Insel. Wenn ihnen bestätigt würde, daß die jetzige US-Regierung nicht mehr ein Gefangener ist von jenen „Emigranten, die nach ihren alten Privilegien hungern“, dann könnten die Kubaner auf der Insel einen Gutteil ihrer Angst vor der Zukunft verlieren. Und die Aufhebung der Blockade würde nicht eine Stärkung Fidel Castros bedeuten, wie viele denken. Ganz im Gegenteil: Sie ließe ihn nackt, ohne seinen einzigen Vorwand, wie die Rechte sagt, und ohne seinen einzigen Grund, wie die Linke meint. Wie keine andere Maßnahme würde die Aufhebung der Blockade die wirtschaftliche Struktur der Insel verändern und die politische Bühne bewegen.

Das alltägliche Leben in Kuba ist heute eine Hölle, und seine Veränderung zwingt sich auf mit der Macht des Unvermeidlichen. Die Frage aber ist, ob der Wandel friedlich oder gewaltsam erfolgen wird; ob wir Kubaner uns in einen Teufelskreis von Krieg und Rache stürzen oder ob wir unsere Wunden heilen können und endlich – nachdem wir nacheinander eine spanische, dann eine US-amerikanische und schließlich eine russische Kolonie waren – ein zivilisiertes und unabhängiges Zusammenleben organisieren können.

„Die sicherste und vorsichtigste Politik für Washington ist es, von allen Aktionen, die als Bedrohung gegen die Insel interpretiert werden könnten, Abstand zu nehmen und Kuba einfach verfaulen zu lassen“, schreibt die New York Times in dem bereits erwähnten Editorial. Kuba verfault, in der Tat. Aber keine friedlichen Schritte zu tun, um dies zu verhindern, ist weder „vorsichtig“ noch „sicher“. Denn Kuba – nicht die kubanische Regierung: Kuba – ist noch immer und trotz alledem das Zünglein an der Waage für die Beziehungen zwischen den USA und den Völkern Lateinamerikas.

Washington will die Zahl seiner Militärbasen im Ausland drastisch reduzieren. Wenn Bill Clinton jetzt den nötigen Großmut, die Kühnheit und die Kraft für einen Rückzug auch aus der Militärbasis von Guantánamo hätte, die die USA seit nunmehr 90 Jahren in Kuba besetzt halten, dann wären die Tage der Caudillo-Herrschaft Fidel Castros gezählt. In Kuba wäre der Frieden gewonnen, und die Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika könnten auf eine neue Basis gestellt werden. Die Blockade weiter aufrechtzuerhalten hingegen bedeutet, die kubanische Agonie auf unbestimmte Zeit zu verlängern, dazu beizutragen, daß auf mittlere Sicht die Verzweiflung zu Explosionen führt, und eine blutige Zukunft zu entwerfen, die uns alle mit Entsetzen und Scham erfüllen würde.

Kubanischer Schriftsteller („Die Initialen der Erde“). Er lebt zur Zeit in Berlin im Exil.

Sein jüngstes Buch „Die verlorenen Worte“ erscheint Ende März bei Piper.

Übersetzung: Bert Hoffmann