Kontrollierte Opposition

■ Vorwürfe gegen Polens Staatsschutz

Warschau (taz) – Jaroslaw Kaczynski, Parteichef der polnischen Zentrumsallianz, kommt aus den Schlagzeilen nicht mehr heraus. Seine Gegner sind der Ansicht, daß es ihm genau darum gehe. Hatte er doch erst vor wenigen Wochen für Wirbel gesorgt, als er Präsident Lech Walesa und dessen engsten Mitarbeiter als Stasi- Agenten bezeichnete. Nun erklärte er, Polens Staatsschutz bespitzle die Opposition. Auf einer Pressekonferenz ließ er Kopien einer streng geheimen Dienstanweisung verteilen, die nach seiner Interpretation das Anwerben informeller Mitarbeiter in politischen Parteien ermöglicht. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet – gegen Kaczynski wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen.

Kaczynskis Anschuldigung kommt zu einer Zeit, in der die Zentrumsallianz selbst wegen des Verdachts auf Korruption in die Schlagzeilen geraten ist: Vor einem Monat hatte der Staatsschutz den Chef des Parlamentsbüros der Partei, Wojciech Dobrzynski, unter dem Verdacht verhaftet, dieser habe zu Zeiten der Regierung Olszewski Geschäftsleuten Schutzgelder für die Parteikasse abgepreßt. Gegenleistung sollen dabei Konzessionen für den Import von Treibstoff gewesen sein, die das Außenhandelsministerium damals gerade eingeführt hatte.

Dobrzynski sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Kaczynski indessen bürgt für seine Unschuld und verkündet, die Verhaftung sei der Versuch Walesas, „mit der Opposition abzurechnen“.

Als Beweis für seine neuste Theorie zauberte er eine Dienstanweisung des Staatsschutzes aus dem Jahre 1992 aus dem Hut. Die sieht in der Tat vor, daß das „Evidenzbüro“, das sich bis dahin nur mit dem Auswerten allgemein zugänglicher Quellen befaßte, nun auch sogenannte „Experten“ beschäftigen darf, die gegen Geld oder auch nur aus Patriotismus Expertisen anfertigen sollen. Für Kaczynski sind diese „Experten“ nur eine Umschreibung für „informelle Mitarbeiter“, besonders, weil die Staatsschützer auch angewiesen werden, sich mit ihnen in konspirativen Wohnungen zu treffen.

Daß der Staatsschutz von der Dienstanweisung auch Gebrauch gemacht und Einflußagenten oder Spitzel in demokratischen Parteien angeworben hätte, ist bisher nicht bekanntgeworden. Auch Kaczynski hat das nicht behauptet. Der Innenausschuß des Sejm kam bisher auch nicht zu einem eindeutigen Schluß, ein Sprecher bezeichnete Kaczynskis Behauptung als völlig übertrieben. Zentrumsabgeordnete gaben dagegen Kaczynski nach der Sitzung voll recht. Der Vorsitzende des Obersten Gerichts, Adam Strzembosz, lehnte eine vom Ausschuß geforderte Prüfung der Anweisung ab: Dafür sei das Verfassungsgericht zuständig. Dessen Spruch will Kaczynski nicht anerkennen, weil an seiner Spitze selbst ein Mitglied der kommunistischen Nomenklatura sitze.

Unerwartete Unterstützung erhielt Kaczynski inzwischen von der ebenfalls oppositionellen sozialdemokratischen „Union der Arbeit“, die im Parlament über sechs Sitze verfügt. Deren Parteiführung forderte von Premierminister Suchocka eine klare Erklärung vor dem Parlament, ob sich die Dienstanweisung gegen demokratische Parteien richte, wie sie zustandegekommen und umgesetzt worden sei. Das Ansehen von Innenminister Milczanowski ist indessen weiter gesunken. Seine Versicherung, die Dienstanweisung habe nicht den ihr unterstellten Zweck gehabt, stellt immer weniger zufrieden. Klaus Bachmann